Gedanken am Hohlweg

von Joachim Acker

Der Apfelbaum unter dem ich sitze und eine kleine Rast mache, ist ein wahrlich mächtiger Baum, das Urbild eines Apfelbaumes. Schon seit Urzeiten steht er da am Ende des Hohlweges, der steil vom Rande der Stadt hinaufführt auf die Felderebene und dann ins Irgendwohin verschwindet.

Seine Rinde ist rissig und zerschunden, manch wilder Gewittersturm ging an ihm vorüber, hat ihn gebeutelt und zerzaust. Dem Hagel und Regen trotzte er, über die Schneemassen in kalten Wintern lachte er nur.

Und im Sommer trägt er Früchte, kleine goldgelbe Äpfel, säuerlich aber dennoch wohlschmeckend, Saft- und Kuchenäpfel sind es, bessere gibt's kein zweites Mal.

Oft sitze ich unter diesem Baum auf einer kleinen, altersmürben Bank, rauche meine Pfeife und denke nach über das Geschehene und über das was vielleicht einst Geschehen wird. Und meine Gedanken verwehen und treiben dahin so wie der Rauch aus meiner Pfeife im Abendwind ins Nirgendwo verweht.

Es ist Spätwinter, die Felder sind noch kahl, vereinzelt hier und da eines mit Wintergetreide, auf einem Stück noch die abgeschnittenen Stengelreste des Welschkorns. Kahle, braunglänzende gepflügte Felder über die ein kalter Wind weht, ich ziehe fröstelnd den Mantel um mich und zünde meine Pfeife aufs neue an und schaue die grasbewachsene Böschung hinunter zum Hohlweg.

Was könnte dieser Weg erzählen? frage ich mich im Stillen, was könnte er berichten wenn er sprechen könnte? Und die zerfallenen grauverwitterten Reste der Ruhbank dort drüben, schon lange wurden keine Lasten mehr auf ihr abgestellt, an was und an wen würde sie sich erinnern wenn sie reden könnte?

Der Wind bläst kräftiger, mir wird kalt und ich möchte gehen, aber da ist es mir, als ob der Wind eine Stimme zu mir herüber trägt, ich versuche zu lauschen, zu verstehen. Die herbeigewehte Stimme verstehend begreife ich langsam dass der Weg zu mir spricht, ungläubig und an meinem Verstand zweifelnd höre ich zu.

Und der alte Hohlweg erzählt von den Tagen als die Menschen des Abends, müde und gebeugt von der schweren Arbeit auf den Feldern, zurück gingen in ihre Hütten, er erzählt von ihren Sorgen und Nöten, von Freude und Leid dass er sah und hörte. Er redete zu mir von schrecklichen, die Ernte vernichtenden Unwettern, von Hungersnöten in den Häusern der Stadt.

Meine Pfeife ist leergeraucht, ich schüttle sie aus, die Asche wird vom Wind weggetragen. In der Tasche krame ich und nehme eine andere Pfeife heraus, fülle sie und dann höre ich weiterrauchend der Stimme des Weges zu.

Von Kriegsvolk erzählt er nun, schwerbewaffnete Landsknechte die hinunterströmten in die Stadt und sie belagerten, erstürmten und entsetzliches Leid über die Menschen brachten. An den Rauch der brennenden Stadt erinnerte er sich, wie er beißend und dicht über dem Weg, den Feldern und den Bäumen lag, alles Unheil einhüllend und gnädig verbergend. Schreckliche, fürchterliche Zeiten waren es. Dem Schöpfer sei gedankt dass sie vorbei sind und hoffentlich niemals mehr wieder kommen.

Und der Weg erinnert sich daran wie einst ein Küfer hier eines gewaltsamen Todes starb. Dort drüben war es, dort wo heute die Bank steht. In manchen Vollmondnächten soll man noch den letzten Schrei dieses armen Mannes hören und das dumpf polternde Geräusch eines des Weges herabrollenden Fasses. Daher wird auch von den Stadtbewohnern der Hohlweg des Nachts gemieden, lieber machen sie einen kleinen Umweg über die Felder als hier zu gehen. Einen gab es aber, der machte sich nichts aus diesen alten Begebenheiten und ging voller Übermut und Verachtung in einer wilden Sturmnacht durch den Weg. Niemals sah man ihn wieder, seine Schuhe fand man unter einem Birnbaum, das war alles was blieb. Eine schreckliche Geschichte war es die ich da hörte, mich schauderte.

Aber er erzählt auch von glücklichen Tagen, als die Menschen geschmückt mit Blumen und Kränzen hinaus auf die Felder gingen um den Allmächtigen für eine gute Ernte zu danken. Erzählt von fröhlichen Liedern, von lustigen Tänzen die da getanzt wurden. Und manch einer ging dann, zuviel vom guten Wein in sich aufgenommen, schwankend den Weg hinab.

Manchmal, in warmen Sommernächten, sah er auch verliebte Pärchen unter den Bäumen stehen und sich ewige Treue und Liebe schwörend. Noch nicht wissend, dass nichts vergänglicher ist als ein nächtlicher Treueschwur.

Ja, dies alles sah der uralte Hohlweg und behielt es in seiner Erinnerung.

Der Wind hat sich etwas gelegt und die ferne raunende Stimme verstummte. Meine Pfeife war ausgegangen und ich entzündete sie von neuem, dann machte ich mich auf den Heimweg. Es war spät geworden und mich fror.