Schiefer

von Joachim Acker

Das Messer rutschte am Plug Würfel ab und ritzte mir in den Finger, einige Blutstropfen quollen hervor die ich mit einem Taschentuch abwische. Ich angel in der Schreibtischschublade nach einem Pflaster, natürlich fand ich keines, wie konnte es auch anders sein. Im Bad wurde ich schließlich fündig, verband mich gerade noch rechtzeitig bevor ich vollends verblutete und kehre in die Stube zurück. Dort fülle ich meine Pfeife mit dem geschnittenen Tabak, und setze mich dann rauchend in meinem Sessel.

Mein Blick fiel auf die Dachplatten aus grauschwarzen Schiefer die an einer Wand hängen, Mitbringsel von einer uralten Farm in Anglesey, der "Geisterfarm" wie ich diese zerfallenen, schon vor Jahrzehnten von den Menschen verlassenen Reste eines einst schönen Anwesens immer nannte.

Aber nicht von der Farm will ich Heute erzählen, obwohl das auch interessant wäre, sondern von den Schieferbrüchen in Nordwales, vom großen Schieferbruch in Festiniog.

Nochmals zünde ich meine Pfeife an und der schwere Geruch meines Lieblingstabaks erfüllt die Stube. Ich lehne mich in meinem Sessel zurück und erinnere mich wie ich einst vor vielen Jahren das erste Mal vor diesem gigantischen Schieferbrüchen stand, staunend und voller Entsetzen sah, was Menschenhand aus einer Landschaft machen kann. Umgepflügte Berge, nein, es waren keine Berge mehr, es waren nur noch die Ruinen einstiger Berge, ausgebeinte Reste die jetzt nur noch Schutthalden waren, grau in grau wie der Himmel über Nordwales, grau und ohne Grün, leblos und kahl. Hingeworfen als ob ein Riese hier gewütet hätte. Kraterlandschaft, Mondlandschaft.

Damals setzte ich mich zur Rast auf einen mächtigen Schieferblock, stopfte mir meine Pfeife, ich weiß es noch genau so als ob es erst gestern war.

Ein Mann, grauhaarig und krummgezogen von der Last des Alters und des Lebens, kam des Weges, setzte sich neben mich, zog ebenfalls eine Pfeife aus der Tasche, stopfte sie und nachdem er sie in Brand gesetzt hatte sagte er zu mir, dass er jeden Tag hierher kommt und auf diesem Stein sitzt, seine Pfeife raucht und daran denkt wie er einst als junger Bursche hier gearbeitet hat.

Und dann erzählt er mir von der harten Arbeit im Schieferbruch: tagein, tagaus in der Felswand den Schiefer herausbrechen, egal bei welchem Wetter. Schnee und beißende Kälte, die Hände gefühllos und taub, Regen, der die Kleidung durchnässte, Hitze im Sommer. Und immer die gleiche, schwere Arbeit, wenn sie nur schwer gewesen wäre dann wäre es ja noch irgendwie zu ertragen gewesen, aber sie war auch gefährlich.

 

Jeden Tag kam es zu Unfällen, beinahe jeden Tag wurden Kameraden auf altersschwachen Handkarren ins Krankenhaus gefahren. Und manch einer kam dann nicht wieder.

Der Alte zündete sich seine Pfeife an, ich sah seine Hände, voller Risse und Schrunden, verkrümmt die Finger, Hände die das zupacken gewohnt waren, Arbeiterhände, Quarrymen-Hände. Er paffte ein paar Rauchwolken in den grauen wolkenverhangenen, Regen versprechenden Himmel, aber unser Leben war auch fröhlich und lustig sagte er dann zu mir. Was für Feste feierten wir, die waren berühmt im ganzen Tal, da floss das Bier in Strömen, die Tische bogen sich unter der Last der Speisen, die Burschen und Mädchen tanzten wilde Reigen. Was waren das für Feste, sagte er nochmals, und seine Augen leuchteten.

Er schwieg nun und beschäftigte sich mit seiner Pfeife, sein Blick war in eine weite Ferne gerichtet, entrückt der Wirklichkeit. Meine Pfeife war nun leergeraucht, ich schüttelte sie aus und dann verabschiedete ich mich von dem alten Mann, ließ ihn zurück auf diesem Felsblock sitzend, allein mit sich und seiner Erinnerung.

Meine wandernden Gedanken kehrten zurück in das Hier und Jetzt. Es hat wieder zu regnen begonnen, dick und schwer klatschten die Tropfen gegen die Fensterscheibe. Ich nehme eine der Platten in die Hand, fühle die Kälte des Gesteins.
Ob vielleicht der Alte von damals den Block, aus dem diese Platte herausgespalten wurde, aus dem Berg löste? Möglich wäre es.