Frühlingstag
von Joachim Acker
Es ist endlich Frühling geworden, die Tage der Kälte
und der grauen Nebelmorgen gehören der Vergangenheit an.
Warm scheint die Sonne vom blauen Himmel herab, eine Wohltat
für Pflanze, Tier und Mensch. Ich sitze im Garten auf der
Bank, habe die Pfeife mit meinem Lieblingstabak gefüllt
und sehe den Rauchwolken nach wie sie auseinander wehen, sich
in bizarren Formen verteilen und schließlich auflösen,
so als wären sie nie da gewesen.
Mir kommt der Gedanke dass im Dunkeln rauchen halb soviel
Vergnügen macht, einzig und allein deswegen weil man dem
Rauch nicht nachschauen kann. Den Rauch sehen ist, so scheint
mir, ein wesendlicher Bestandteil des Pfeiferauchens, steht er
doch mit für die Vergänglichkeit unseres Tuns und für
das Vergängliche schlecht hin. Gerade noch da, anwesend
in lauer Frühlingsluft, und beim nächsten Wimpernschlag
vergangen und vorbei. Zurück bleibt nur noch für eine
Weile der Geruch des Tabaks, dann ist auch er verweht. Es ist
ein Werden und Vergehen, Kommen und Gehen. Und der Alte, der
Dunkle aus Ephesos kommt mir in die Gedanken: "Pantha rei",
>Alles fließt<, wie wahr doch dieser Spruch ist.
Gelb und Weiß blühen die Narzissen, dazwischen
das dunkle Rot der eben aufblühenden Tulpen, dunkelviolett
leuchten die Stiefmütterchen. Strahlend Weiß die Blüten
des Pflaumenbaumes, Bienen sind emsig auf der Suche nach einer
ergiebigen Nektarquelle. Im Rosenbusch hat eine Spinne bereits
ihr Netz gewoben, es glitzert im Licht der dagegen scheinenden
Sonne. Und irgendwo im Versteck der austreibenden Blätter
wird sie wohl lauern die Jägerin, darauf hoffend dass sich
eine unvorsichtige, des Lebens überdrüssige Fliege
im Fangnetz verheddert, leichte Beute für die Achtfüßlerin.
Neben meinem Teeglas liegt ein Blatt Papier, ich möchte
mir einige Ideen für eine neue Geschichte aufschreiben,
aber es kommt mir kein Gedanke in den Sinn, missmutig schiebe
ich das Papier zur Seite und zünde meine ausgegangene Pfeife
aufs neue an.
An den noch leeren Gemüsebeeten streicht eine Katze vorbei,
nach Beute spähend verharrt sie einen Moment und setzt dann
ihren Weg fort. Eine Horde Spatzen fällt schimpfend und
zeternt in den Garten ein, lautstark streiten sie um irgend etwas,
einer Amsel ist es wohl zuviel, sie beteiligt sich ein paar Sekunden
lang an dem kleinen Aufruhr, flattert dann schimpfend davon.
Vom Kirchturm schlägt es die Stunde dann ertönt
das volle Geläut, ich höre auf den vertrauten Klang
der Glocken. Mir geht durch den Sinn wie ich einst den Ulmer
Münsterturm hinaufstieg. Im Glockengestühl hingen die
mächtigen Glocken die gerade in dem Moment anfingen zu läuten
als ich mich von dem durchaus beschwerlichen Aufstieg etwas ausruhte
und verschnaufte. Welch ein Klang und Getöse, beinahe schmerzhaft
schallte es mir damals in den Ohren die ich reflexartig zuhielt.
Das Gestühl bebte und erzitterte, Tauben flatterten erschreckt
auf, obwohl sie es doch gewohnt sein mussten dass in regelmäßigen
Abständen die Glocken anschlugen. Noch Stunden später
glaubte ich den Nachhall in meinen Ohren zu hören.
In der Schule lernten wir die Namen der Glocken, aber nun
kann ich mich nur noch dunkel und ungewiss daran erinnern. So
vieles was Damals gelernt wurde ist zugeschüttet worden
von dem was das Leben so mit sich bringt. Eine nennt man die
Schwörglocke, eine andere, die wohl größte Glocke
Gloriosa, dann gab es noch die Taufglocke, die Sterbe- und die
Betglocke, dazu noch einige Andere deren Bedeutung und Namen
ich vergessen habe.
Es ist wohl etwas besonderes um die Glocken der Heimat, nein:
Nicht nur der Heimat, um die Glocken überhaupt, von der
Taufe bis zur Beerdigung begleitet ihr Klang ein Menschenleben.
Sie läuten die Freude und die Trauer, Krieg und Frieden.
Die Kaiserglocke in der Klosterkirche von Kastl kommt mir ins
Gedächtnis: Als 1914 der große Krieg begann läuteten
alle Glocken im Lande, die Kaiserglocke, die nur zum und im Frieden
läuten sollte bekam zu dieser Stunde einen Riss und ihr
Klang zerbrach. Der Klang der Glocke, wo immer man sie auch hört,
ruft zur Einkehr und zum Gebet, mahnt zur Buße und zur
Reue.
Ich denke an Quasimodo, der bucklige hässlich verunstaltete
Glöckner von Notre Dame, gequält, verachtet und verspottet
von den Menschen bewahrte er sich mehr Menschlichkeit als viele
Andere.
Meine Pfeife ist nun leergeraucht, ich schüttle sie aus
und der feine Aschestaub rieselt hinunter ins Gras. Dann zerknülle
ich das Notizpapier auf dem ich meine Gedanken aufschreiben wollte.
Mir ist nichts eingefallen was zum Grundstein einer neuen Geschichte
taugen könnte.
Ein Eichelhäher setzt sich auf den Hartriegelbusch und
äugt zu mir herüber, wundervoll blau seine Flügelfedern,
nach einem Moment der Ruhe fliegt er weiter, einem unbekanntem
Ziel entgegen.
Und ich sitze da auf meiner Gartenbank, fülle mir eine
frische Pfeife und versuche nochmals eine Geschichte zu ersinnen.
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