Was die Pfeife erzählt
von Joachim Acker
Abstauben ist eine überaus lästige Angelegenheit
vor der ich mich solange drücke wie es nur irgendwie geht.
Irgendwann bleibt mir dann schließlich nichts anderes übrig
um den strafenden Blicken der Eheallerbesten zu entfliehen als
nach dem Staubwedel zu greifen und mich ans Werk zu machen. In
der Pfeife glimmt mein erklärter Lieblingstabak, Rauchwölkchen
durchziehen die Stube. Das Leben könnte so wunderbar sein
wenn es nicht lästige Pflichten geben würde.
Ich schaue zum Fenster hinaus in den Vorgarten, die Lilien
blühen in wundervollen Farben, gelb, blau und bräunlich-weiß,
dazwischen orangefarbener Goldlack, durch die Zweige des Vogelbeerbaumes
huscht ein Gartenrotschwänzchen, eifrig auf Nahrungssuche.
Des Nachbars Katze überquert die Straße, sieht wohl
den kleinen Vogel in den Ästen flattern, setzt aber ihren
Weg nach einem kurzen Blick fort. Unerreichbar als Beute ist
der Kleine.
Die Pfeife die ich gerade abstaube fällt zu Boden,
Beim Bücken vermeine ich ein leises "Autsch"
zu hören. Verdutzt schaue ich mich um, ich war allein in
der Stube. Und an meinem Verstand zweifeln wurde mir dann bewusst
dass es die Pfeife war die diesen Laut von sich gab.
Seit wann kann eine Pfeife reden, dachte ich bei mir, sowas gibt's
doch nicht, wir sind doch nicht im Märchen. Aber scheinbar
war es doch möglich denn die Pfeife gab einen eigenartigen,
seltsamen Laut von sich und ich hörte dann deutlich wie
sie sagte: "Du hast mir weh getan". Und dann begann
die Pfeife in meiner Hand zu erzählen, begann mir, dem staunenden
und fassungslosen Zuhörer, aus und von ihrem Leben zu erzählen.
Sie sprach von früher, als sie noch ein lebendiges, wachsendes
und gedeihendes Holz war. Sie sprach von ihrer Kindheit als sie
wohlbehütet im Schatten ihres Vaters auf kargen, steinigen
Boden irgendwo in den Bergen heranwuchs. Erzählte von den
ersten Stürmen die ihren noch jungen Stamm schüttelten,
zu beugen und brechen versuchten. Und dann der erste Winter:
Eiskalt der Wind, Schneewind, beißend der Frost, aber klar
und rein die Luft. Ein Gutes hatte aber der Winter, war er auch
noch so kalt und frostig: es gab immer ausreichend zu trinken.
Nach den strengen Wintern kam aber immer wieder der Sommer mit
Hitze, schrecklichen Gewittern bei denen die Blitze vom Himmel
zuckten und der Donner grollte dass es dem Holz Angst und Bange
wurde. Und dann immer der entsetzliche Durst wenn es Wochen oder
gar monatelang nicht regnete, die Erde tiefe Trockenrisse bildete.
Besonders lästig war eine Zeit, als sich einmal ein Ameisenvolk
an der Wurzel niederließ, das Kribbeln und Krabbeln war
wirklich ausgesprochen unangenehm.
Schön und unvergesslich aber die Vögel die sich in
den Zweigen tummelten, die Schmetterlinge die vorüber gaukelten,
der Fuchs, der nachts auf seinem Gang vorüberkam und sich
den Rücken am Stamm scheuerte.
Und dann eines Tages das Entsetzliche, Nichtbegreifbare: Am
Stamm, ganz unten, nahe der Wurzel, bildete sich eine Verdickung,
ein richtig hässlicher Auswuchs den sich das Holz nicht
deuten konnte. Der Vater wusste aber um die Bewandtnis und erklärte
es dem Heranwachsenden. Und so erfuhr das Holz, das es später,
in einem anderen Leben, einmal eine Tabakpfeife sein wird, um
seine ureigentliche Bestimmung, um den Zweck und den Sinn seines
Lebens.
Erschrocken und erstaunt war es da, konnte es irgendwie nicht
so richtig fassen und begreifen. Aber wenn es der Vater sagte
dann würde es schon stimmen. Von da an betrachtete es auch
die immer größer werdende Verdickung nicht als Makel
oder Krankheitszeichen sondern als wichtiger Teil seiner selbst.
Noch vieles an Warum und Wieso wollte das junge Holz den Vater
fragen aber es kam der Tag und die Stunde, da erschienen verwegen
aussehende, lärmende und rohe zweibeinige Wesen, sie sägten
den Vater ab und gruben ihn aus der harten steinigen Erde, warfen
ihn in einen Sack und nahmen ihn mit. Nie wieder sah er ihn.
Allein war er nun, traurig und ängstlich noch dazu, allein
in karger Landschaft, dem Wind und Wetter ausgesetzt. Jahrein
und Jahraus.
Und eines Tages erschienen wieder diese seltsamen Wesen, und
dann fraß sich eine Säge in sein Holz. Diese Schmerzen
wird er sein Lebtag nicht mehr vergessen, vertraute mir die Pfeife
an. Grässlich war's, ganz arg grässlich.
Die Pfeife aus der ich gerade rauchte war schon lange erkaltet,
so gebannt hörte ich der leisen, raunenden Stimme zu.
An all das was nun folgte konnte sie sich nur noch ganz schlecht
erinnern. Das Kochen in einem Kessel, das Zersägen, das
Bearbeiten auf und durch eigenartige Maschinen, all das war durch
den gnädigen Mantel des Vergessens in Nebel gehüllt.
"Ja", sagte die Pfeife in meiner Hand, "So wurde
ich eine Tabakspfeife und fand hier bei dir eine neue Heimat.
Aber an manchen Tagen da plagt mich das Heimweh nach den fernen
Bergen und der Weite des Himmels, nach der Wärme der Sommer,
nach den Vögeln und den Schmetterlingen.
Eines verstehe ich aber nicht, da stehen so viele Geschwister
von mir bei dir aber mit keiner kann ich reden, mich unterhalten.
Sie sind alle stumm. Ich fühle mich einsam unter Vielen".
Die Pfeife die ich gerade abstaube fällt zu Boden, hastig
bücke ich mich nach ihr. Zu hastig denn ich stoße
mir den Kopf an der Schreibtischkante an. Dann ergreife ich sie
endlich und hebe sie auf, zum Glück hat sie keine Schramme
davon getragen.
Ich schaue wieder zum Fenster hinaus und sehe wie der Wind durch
die Zweige des Vogelbeerbaumes geht.
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