Im "Schwarzen Drachen"
von Joachim Acker
Eng und verwinkelt sind die Gassen der kleinen Stadt, holprig
gepflastert mit uralten buckligen Steinen die den Schritt des
Wanderes manchesmal zum Straucheln bringen. Und irgendwo im Gewirr
der alten Fachwerkhäuser, die mit ihren vorkragenden Häuserfronten
in die Gässchen hineinragen, eine kleine Gaststube: der
"Schwarze Drachen", seit altersher das Stammlokal des
örtlichen Pfeifenraucherclubs.
Öffnet der Einkehrsuchende die schwere, hölzerne
Tür, so betritt er eine niedrige Schankstube, Steinplatten
gepflastert, die Decke getragen von geschwärzten mächtigen
Balken, in denen sich der Rauch unzähliger Pfeifenfüllungen
festgesetzt hat.
Sei vorsichtig damit du dir nicht den Kopf anstößt!
Und in der Ecke, unterm Fenster das hinausführt in den Hof,
der große runde Tisch der Pfeifenraucher, der Mittelpunkt
der bewohnbaren Welt, für wenige Stunden in der Woche Zufluchtsort
und Heimat.
Müde von des Tages Arbeit, dazu noch hungrig und überaus
durstig betrat ich die vertraute, nach dem Tabakrauch riechende
Gaststube, begrüßte meine Freunde die still und schweigsam,
ein jeder mit sich, seiner Pfeife und dem vor ihm stehenden Glas
mit Bier oder Most beschäftigt waren, am Tisch saßen.
Es ist vergebene Mühe nach einer Speisekarte zu fragen,
sowas gibt es im "Drachen" nicht, wer hungrig ist bekommt
eine große Schüssel mit Eintopf und ein Stück
Brot serviert, damit kann der Gast zufrieden sein oder hungrig
bleiben. Ganz wie es ihm beliebt.
Nun, nachdem ich mich gesättigt hatte, das erste Glas
Most getrunken und meine Pfeife mit meinem Lieblingstabak gefüllt
hatte, mich wohlig und behaglich im Stuhl zurecht setzte, fragte
ich meine Freunde nach den Geschehnissen des Tages. Aber es gab
nichts besonders Aufregendes zu berichten, kein Skandal hat die
kleine Stadt erschüttert, auch vom Damen-Kegelverein gab
es nichts Unziemliches zu berichten. Kurzum: es war nichts los
in der kleinen Stadt, sie schlief und träumte vor sich hin.
Damit war unser Gespräch erschöpft und wir hingen
wieder schweigend unseren Gedanken nach, saugten an den Pfeifen,
bliesen Rauchwölkchen zur Decke und waren im Grunde genommen
überaus glücklich und zufrieden. Als wir alle nahezu
am einschlafen waren, der Most begann auch so langsam seine Wirkung
zu zeigen, deutlich erkennbar an geröteten Nasen und feurigen
Wangen, begann der kleine dicke Fred plötzlich zu kichern.
"Ich habe ein gute Idee", sagte er dann. Nun, wenn
Fred eine gute Idee hat bedeutet dies meistens größtes
Unheil und Gesprächstoff über Wochen und Monate in
der Stadt, womöglich wieder wochenlanges Strafkehren der
Gassen und Plätze.
Neugierig wie wir waren wollten wir natürlich die Idee
kennenlernen, und Fred zögerte nicht sie uns mitzuteilen.
Mit stetig wachsenden, ungläubigen Entsetzen hörten
wir dann seinen Plan, der so verwerflich war, dass wir, wenn
uns der Stadtpolizist dabei erwischen würde, niemals mehr
aus dem Kerker herauskommen würden. Natürlich lehnten
wir diesen Vorschlag der totalen und vollkommenen Stadtverärgerung
ab. Obwohl: lustig wäre es schon. Kichernd malten wir uns
die Folgen aus.
Aber irgendwie siegte dann doch die Vernunft in unseren Köpfen
und wir verwarfen den Gedanken daran. Nun fragt ihr euch sicherlich
was unser Fred da ausgeheckt hat, aber das verrate ich euch lieber
nicht. Eure gute Meinung über den Pfeifenraucherstammtisch,
wenn sie denn vorhanden wäre, würde einen doch sehr
empfindlichen Dämpfer bekommen, und das möchte ich
doch lieber vermeiden.
Fred begann nun zu schmollen und schniefte beleidigt in sein
Mostglas, er fühlte sich unverstanden. Nicht nur von uns,
seinen engsten und besten Freunden, nein: auch von der Stadt,
der Welt und überhaupt. Also brachte ihm der Wirt noch ein
volles Glas und dann noch eines, Fred lehrte sie in einem Zug
und dann bummste sein Kopf auf die Tischplatte. Der Gute war
weggetreten ins Reich der Träume.
Es war spät geworden als wir schließlich aufbrachen,
Fred wurde in einen Schubkarren gepackt, rechts und links hingen
Arme und Beine heraus, und von uns mit fröhlichen Gekicher
nach Hause gefahren.
Damit seine liebe Frau auch ganz gewiß aufwachte und
ihren Fred in Empfang nehmen konnte sangen wir noch ein Ständchen.
Mehrstimmig versteht sich. Fenster gingen auf, erboste Stimmen
wurden laut, riefen nach Ruhe und der Polizei, ein Kohlkopf flog
dem Apotheker an den Kopf, ein mittlerer Tumult erschütterte
die Gasse. Der Hüter von Recht und Ordnung kam angerannt,
fuchtelte wild mit seinem Knüppel in der Gegend rum und
schrieb uns alle wegen nächtlicher Ruhestörung in sein
schwarzes Buch. Spaß versteht der aber auch nicht, dachte
ich mir. Eine typische Beamtenseele eben.
Ja, was soll ich noch sagen?
Fred bekam Ausgangsverbot und wurde lange Zeit nicht mehr beim
Stammtisch gesehen. Meine anderen Freunde wurden von ihren Allerliebsten
sehr energisch, ich vermute auch handgreiflich, zur Ordnung gerufen.
Ein paar Tage später konnte man uns dann wieder, nun schon
zum zweiten Mal, den Marktplatz kehren sehen. Da kennt unser
Richter keine Gnade und auch kein Erbarmen. Wir hätten es
ja wissen können. Nein: sogar wissen müssen.
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