Die Männer im Moor

von Joachim Acker

 

 

Es waren regnerische Tage diese ersten Junitage damals, es ist schon lange her und mühsam krame ich mir die Ereignisse in mein Gedächtnis zurück. Ein scharfer Wind schüttelte die Blüten von der Kletterrose, wehte sie über den Weg, regennaß glitzerten die Blätter und Blüten der Gartenblumen. Eine Amsel suchte Schutz in den Zweigen des Holunders, die weißen Blüten tief herabhängend, naß und schwer vom Regen.

Ich war von einer inneren Unruhe erfüllt die mich nicht ruhig sitzen sonder in der Stube und im Haus herumirren ließ, hier eine Vase anders hinstellend, dort einen Stuhl zurecht rückend. Ruhelos, planlos, ziellos. Ein Getriebener war ich. Doch was trieb mich, was sorgte für diese Unruhe die mich in zunehmendem Maße ängstigte und beunruhigte?

Ich zwinge mich mit aller Gewalt zur Ruhe und setze mich an meinen Schreibtisch, entzünde meine Pfeife und versuche mich zu entspannen. Eines meiner kleinen Bildchen an der Wand hängt schief, ich hänge es wieder gerade, nehme es dann von der Wand um es näher zu betrachten.

Es zeigt einen schmalen Weg der einen kleinen Hügel hinauf führt. Rechts und links ist der Weg von Mauern aus Bruchsteinen gesäumt, oben am Hügel, weit in der Ferne, erkennt man einige einfache Hütten. Wohin der Weg wohl führt? überlege ich mir.

Und dann nehme ich all meinen Mut zusammen und setze vorsichtig und anfangs noch zögernd meinen Fuß auf den Weg. Steine knirschen unter meinem Gewicht und ich spüre einen frischen, nach Torf und Heide riechenden Wind im Gesicht. Der Weg ist steil, ausgefahren und mit tiefen Löchern in denen noch das Wasser des letzten Regens steht.

Nach den ersten zögernden Schritten werde ich mutiger und gehe den Weg hinauf, den Hügel empor und an den Häusern vorbei. Jetzt im näherkommen erkenne ich dass die Häuser unbewohnt sind, zerfallene Ruinen in denen Unkraut und Holunderbüsche eine Heimat gefunden haben. Von der Bergkuppe aus überblicke ich eine weite, flache Hochmoorlandschaft, kleine Wassertümpel glitzern in der Sonne, hohe, lichte Bäume wachsen neben Felsblöcken, der Weg verliert sich im Irgendwo. Ein Schwarm Krähen umflattert krächzend einen dürren, vom Wind krummgezogenen Baum.

Erstaunt, unsicher und auch etwas verängstigt setze ich mich auf einen großen Felsblock, stopfe mir eine Pfeife und zünde sie an. Langsam werde ich ruhiger, besonnener, schaue dem Rauch der Pfeife nach wie ich es immer gern mache. Die Unruhe löst sich langsam, ich kann wieder freier atmen. Die Sonne neigt sich dem Horizont entgegen, es wird langsam Abend, der Wind wird kühler und mich fröstelt sogar ein bisschen.

Plötzlich vernehme ich leisen Flötenklang und das Scharren zahlloser Füße. Erschrocken schaue ich mich um und sehe einen lagen Zug fackelntragender Männer den Weg heraufkommen. Sie sind in lange altertümlich aussehende Umhänge gekleidet, speerbewaffnet, mit runden Schilden in den Händen. Ihr blondes Haar auf der Seite in einem Knoten zusammengefaßt. Sie gehen an mir vorbei und würdigen mich keines Blickes, so als ob sie mich gar nicht sehen würden. Der lange Zug der bewaffneten Männer, die rauchend brennenden Fackeln, der Klang der Flöte, das Alles gibt zusammen ein gespenstiges Bild ab das mich nun doch erschaudern läßt. Ich zünde meine Pfeife von neuem an, schon lange ist sie ausgegangen, vor Schreck und Überraschung habe ich ganz vergessen daran zu ziehen.

Vier Männer tragen eine aus Speeren gefertigte Bahre, darauf liegt auf einer Reihe von Schilden und in Felle eingehüllt ein Mann, seine auf der Brust gefalteten Hände halten ein Schwert, an seiner Seite liegt ein Speer. Der Kopf des Mannes ist mit einer ledernen Kappe bedeckt. Scharfkantig und ledern aussehend das Gesicht.

Und da wird es mir schlagartig klar: Eine Beerdigung zieht da an mir, dem stummen Wanderer, vorüber. Fassungslos bin ich staunender Zuschauer von etwas geworden das ich weder begreife noch verstehe.

Die Männer ziehen ins Moor und ich folge ihnen in einigem Abstand. Fragt mich bitte nicht woher ich den Mut nahm, ich könnte es euch nicht sagen. Aber irgendetwas in mir befahl meinen Füßen zu gehen und dem Zug zu folgen und sie gehorchten, losgelöst von meinem Willen.

Und dann, die Dämmerung war schon weit fortgeschritten, die Sonne versank blutrot am fernen Horizont, hielten die Männer an und wortlos wurde der Mann mitsamt der Bahre in eine Wasserfläche gelegt, langsam versank sie mit dem daraufliegenden Mann im Moor. Schaudernd und voller Angst blickte ich gespannt auf dieses archaische Bild. Ein Anblick der sich bis heute unlöschbar in meinem Gedächtnis eingegraben hat.

Dann zogen die Männer wieder an mir vorrüber, sie sahen mich nicht oder wollten mich nicht sehen. Ich weiß es nicht, ich war nur froh dass es nicht geschah. Zum wiederholten Male zündete ich meine Pfeife aufs neue an, und meine Hände zitterten dabei wie Espenlaub.

Wie ich wieder zurückkam in die Wirklichkeit, in mein vetrautes Hier und Jetzt weiß ich nicht mehr. Es wurde zugedeckt vom Mantel des Vergessens.

Anmerkung:
Am Wochenende las ich einen archäologischen Bericht über Moorleichenfunde. Dadurch wurde ich zu dieser Geschichte angeregt.