Auf der Mauer am Fluß

von Joachim Acker

 

 

Schon lange war ich heimisch geworden in der kleinen Stadt in der ich nach langen Jahren der ziellosen, umherstreifenden Wanderschaft eine neue Heimat gefunden hatte. Die holprig gepflasterten Sträßchen und Wege, die Plätze und verwunschenen Winkel der Stadt waren mir vertraut geworden.

Ich hatte Freunde gefunden mit denen ich mich gut verstand, Anschluss an den Pfeifenraucherstammtisch im "Schwarzen Drachen" eine frohe und lebenslustige Runde mit denen manche Streiche und Schabernack ausgeführt wurden, allerdings nicht immer zur hellen Freude und Begeisterung der Städter.

Ja, es stimmt, die kleine Stadt am Fluss war mir Heimat geworden und ich wohnte gerne hier, war Glücklich und Zufrieden.
Heute allerdings war ein eigenartiger Tag. Die Sonne brannte vom stahlblauen Himmel und hüllte die Stadt in gleißendes grelles Licht, die Luft war stickig und dumpf, erschwerte das Atmen. Kein Luftzug regte sich und brachte Erfrischung.
Vielleicht lag es an der Witterung dass ich von einer inneren Unruhe getrieben, eine Unruhe vor der ich mich fürchtete und die mir Angst einflößte, durch die Gassen der Stadt irrte, ziel-und ruhelos mal hierhin, mal dorthin ging. Beinahe so, als sei ich auf der Suche nach irgendetwas von dem ich vielleicht dunkel etwas ahnte aber nicht einmal wusste, ob es das zu Suchende überhaupt gab. Müde und schlapp lag ein Hund im Schatten eines staubbedeckten Busches, zu schlapp um die Katze zu verfolgen, die an ihm vorüber huschte.

Am Marktbrunnen zündete ich meine ausgegangene Pfeife wieder an, sie schmeckte mir heute nicht, ein schlechtes Zeichen, dachte ich mir. Ich tauchte meine Hände in das kühle plätschernde Wasser, erfrischte mich etwas und ging dann hinüber in den "Schwarzen Drachen".

Einige meiner Freunde saßen am Stammtisch, sie begrüßten mich freudig. Aber selbst hier in der vertrauten Runde unter Freunden ließ meine Unruhe nicht nach und ich verließ das Gasthaus schon nach wenigen Minuten nahezu fluchtartig und lenkte meine Schritte hinab zum Fluss.

Dort, auf dem Mauerrest im Schatten eines Holunders sitzend, stopfte ich mir eine neue Pfeife, zündete sie an und blies die ersten Rauchwölkchen in die Luft.
Die beruhigende Wirkung des still, nahezu lautlos, und träge dahinfließenden Flusses wurde spürbar, langsam, ganz langsam, löste sich die Spannung in mir, dieses Beängstigende, Furchteinflößende von irgend etwas getrieben sein.

Und so wie das Wasser des Flusses an mir vorüberzog so begannen die Gedanken in mir vorüber zu ziehen.
Es ist seltsam: im Alter stehen manche Begebenheiten der Jugend wieder so deutlich vor dem inneren Auge, dass man meinen könnte, sie seien erst gestern geschehen. Ich erinnerte mich an vieles: an mein heimatliches Dorf in einem fernen Tal, an die Tage der Kindheit mit ihren unbeschwerten fröhlichen Spielen.

Damals wusste ich noch nichts von dem was einem Menschen in seinem Leben zugeteilt, zugemessen werden kann, hatte keine Ahnung von Schuld und Vergebung. Woher auch? Ich war ja noch ein Kind. Unwissend und dumm.
Ich sah mich wieder als heranwachsender Jugendlicher der sich heimlich mit seinen Freunden an der ersten Tabakpfeife versucht, an die daraufhin folgende Übelkeit. Ja, an vieles erinnerte ich mich, es tauchte auf aus dem Schatten der Vergangen- und Vergessenheit, blieb eine Weile vor mir stehen und versank dann wieder um für neue, andere Gedanken Platz zu schaffen.

Dann tauchte aus dem Nebel des einst Gewesenen die vertraute Gestalt meines väterlichen Freundes auf. Und ich sah den Uralten wieder vor mir stehen, Rat gebend, mahnende Worte an mein Gewissen aussprechend, Geschichten erzählend. Ich sah das nächtliche Lagerfeuer wieder vor mir, so lebendig dass ich glaubte ich könnte den Rauch riechen und das Knistern und Knacken der Flammen hören. Sah die Runde der Dörfler die schweigend, oder sich leise allerhand Schnurren und Geschichten erzählend, ums Feuer saßen und ihre Pfeifen rauchten. Das alles sah ich in meiner Erinnerung mit so einer großen Deutlichkeit und Schärfe als sei's eben erst geschehen, und doch ist es schon lange vorbei. Ein ganzes langes Leben vorbei.
Bei all dem Nachdenken und Erinnern an das was einstmals war verlor ich meine Unruhe die mich so gepeinigt hatte, mein Atem ging wieder freier, der Druck in mir löste sich.

Meine Pfeife war nun leer geraucht und ich schüttelte die Asche zu Boden. Da erst bemerkte ich dass der Schaufler neben mir stand, seine urige Pfeife im Mund und mit einem Lächeln fragte er mich, wo ich denn mit meinen Gedanken gewesen sei. Er setzte sich neben mich und ich erzählte ihm, was mich bedrückt hat.

Ich füllte eine frische Pfeife und dann saßen wir zusammen noch lange Zeit auf dem Mauerrest, rauchten unsere Pfeifen und schwiegen gemeinsam.

Die Abenddämmerung senkte sich über das Land, es wurde Zeit um nach Hause zu gehen. Von irgendwoher erklang der weiche und melodische Abendgesang einer Amsel.