Ein neues Abenteuer

von Joachim Acker

 

Seit dem Ausflug, der auf so höchst unangenehme Art und Weise buchstäblich ins Wasser fiel, waren nun einige Tage vergangen. Die Wunden, die dieses Missgeschick in unsere Seelen geschlagen hatte, begannen zu heilen und zu vernarben. Wir, meine Freunde vom Pfeifenraucherstammtisch des "Schwarzen Drachen" und ich, konnten wieder über die Straße gehen ohne dass man über uns lachte, dumme oder süffisante Bemerkungen machte.

Eines Abends betrat ich den Drachen und erschrak zutiefst. Wohl umhüllte mich sofort der wohlvertraute, durchdringende Geruch des Tabaks der in den Pfeifen meiner Freunde verkokelt wurde, aber statt des üblichen Gelächters und der Hallo-Rufe empfing mich eine eisige Stille. Still und in sich gekehrt, beinahe Ernst saßen meine Kameraden am Tisch, schweigend mit den Pfeifen beschäftigt. Es war beängstigend für mich, so ungewohnt, dass mir ein kalter Schauer den Rücken hinunter lief.

Nachdem ich mich gesetzt hatte und fragend in die Runde blickte, machte Fred eine Kopfbewegung zur Seite und bedeutete mir, ich solle mal ins hintere Eck schauen. Ich tat es und traute meinen Augen nicht: am Tisch in der Gaststubenecke saßen nebeneinander in breiter Reihe die Eheherzallerliebsten meiner Freunde und äugten streng und misstrauisch zu unserem Tisch herüber. Flüsternd klärte mich Fred auf, dass sich die Damen in einem streng geheimen Treffen abgesprochen haben, in Zukunft den Stammtisch aus der Ferne zu beobachten und etwaige Ausschreitungen und Übergriffe sowie den Missbrauch der Mostkrüge, sowohl der Ganzen als auch des Inhalts, sofort unterbinden zu können. Ja, da saßen nun die Damen, jede hatte ein Glas mit Sprudelwasser vor sich, zwei oder drei ließen ihre Stricknadeln klappern und beobachteten uns mit Augen die einem Adler zur Ehre gereicht hätten. Was mich aber beunruhigte war, dass sie alle Regenschirme neben sich stehen hatten, und das mitten in einer schon lange anhaltenden Trockenperiode.
Also musste ein kühner, verwegener Plan her um dieser Beobachtung, die freien Männern und Stammtischbrüdern vollkommen unwürdig war, ein Ende zu bereiten.
Nach einigem Nachdenken kam mir die rettende Idee, es gab ein kurzes Getuschel hin, ein Getuschel her und dann wurde sogleich mein Plan, der in seiner Kühnheit und seinem Wagemut unübertroffen schien, in die Tat umgesetzt. Fred erhob sich und ging zu jenem Örtchen in das selbst die aufmerksamste Ehegattin nicht folgen und es auch nicht ohne einen Skandal und Aufruhr zu verursachen, tun würde. Der Schaufler folgte, der große Peter nach ihm, Karl und dann ich. Nur Eugen und Otto hatten Angst, vor sich selber, vor ihren Frauen und den möglichen Folgen und trauten sich nicht. Sie blieben beide sitzen, als Alibi sozusagen oder als unsere Rückendeckung, wie man es halt nimmt.
Wir aber kletterten zum Fenster jenes Örtchens hinaus. Fred, der ja etwas dicklicher war, blieb beinahe im Fensterrahmen stecken. Aber diese Schrecksekunde wurde mit vereinten Kräften gemeistert. Einer zog, der andere schob, es machte plopp und der Fred war draußen. Dann huschten wir ums Eck und rannten die Straße hinunter und am Rathaus gleich rechts über den Marktplatz, eine verschreckte Katze suchte ob des Gerennes aufjaulend das Weite. Wir waren vorerst in Sicherheit. Dann, jede nur mögliche Deckung ausnutzend, pirschten wir wie eine Bande von Verschwörern durch die abenddunklen und menschenleeren Gassen der Stadt, hinaus zum Gartenhäuschen des Schaufllers. Dort erwartete uns ein eingelagerter Notvorrat an Most, etwas nahrhaftes zum Essen, ein kleines Tabakvorratslager und was man sonst noch so braucht um den Gefahren und Widerwärtigkeiten des Lebens zu trotzen.

Wir zündeten ein kleines Feuerchen an, füllten unsere Krüge mit Most, stopften uns frische Pfeifen und dann saßen wir da in der Runde, leise vor uns hinkichernd. Wir freuten uns das wir den Damen ein Schnippchen geschlagen hatten, genossen unsere durch große Kühnheit und List eroberte Freiheit. Ja, so saßen wir nun da, die heldenhaften Manne des Stammtisches, rauchten unsere Pfeifen, wir waren glücklich. Wir schauten ins knisternde Feuer, blickten den davonstiebenden Funken nach und schwiegen. Aber diesmal war es ein anderes Schweigen, keines das die Unzufriedenheit und der Unmut diktierte, sondern ein Schweigen das aus der Tiefe der Seele kam. Das Schweigen von Männern die sich auch ohne Worte verstanden. Und der Duft unseres Tabak vermischte sich mit dem herben Geruch des Feuers. Es war herrlich.

Kaum zwei Stunden waren vergangen als auf dem Weg das Funzeln von Laternen sichtbar wurde. Es war unser Fehler das wir dies Leuchten nicht in den Zusammenhang mit den Eheliebsten brachten und als wir erkannten, was da auf uns zukam, war es spät für eine Flucht. Wir versuchten zwar durcheinander wuselnd das Tor zu erreichen, aber die Mühe war zwecklos.
Die Damen waren im "Schwarzen Drachen" langsam misstrauisch geworden weil die Männer so lange auf dem Örtchen blieben. Sie griffen sich die zwei Zurückgebliebenen und unterzogen sie einer sehr strengen Befragung. Es sei unseren Freunden aber zur Ehre gesagt, dass sie unseren Aufenthalt erst nach Androhung der allerfürchterlichster Folterqualen verrieten.
Und nun waren wir umzingelt von grimmig dreinschauenden Eheherzallerliebsten, die ihre Regenschirme wie Speere drohend auf uns gerichtet hatten. Was sollten wir tun? Widerstand zu leisten war unsinnig und sowieso von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Was sollten oder konnten wir auch tun? Nichts! Rein absolut Nichts.
Also blieb uns nur die Kapitulation übrig. Und dies war im Angesicht der auf uns gerichteten Schirme keine Schande.

Größter Triumph und absolute Genugtuung blitzte da in den Augen der Damen, der Sieg war ihrer. Wenn der geneigte Leser nun glaubt es würde ein fürchterliches Donnerwetter über unser klägliches Häuflein hereinbrechen, dann muss ich ihn enttäuschen. Die Eheliebsten begannen schallend laut zu lachen und freuten sich diebisch darüber, dass sie ihre Mannsbilder überlistet hatten.

Eugen, er war ja einer der Metzger in unserer kleinen Stadt, wurde von seiner Frau nach Hause geschickt, um aus dem Laden einige Würste zu holen, er kam auch ziemlich bald wieder, beladen mit den leckersten Sachen die es in seinem Geschäft gab. Und dann saßen wir noch lange zusammen in der Runde, der Stammtisch der Pfeifenraucher nebst den Allerliebsten. Und es war eine frohe, eine glückliche, eine zufriedene Schar.
Das Feuer knisterte, das herunter tropfende Fett der Würste zischte in den Flammen, der Rauch der Pfeifen stieg in den nächtlichen Himmel, der Mostkrug kreiste in der Runde. Und über uns glänzten und schimmerten die Sterne. Was kann es da noch Schöneres geben?
Was soll ich nun noch erzählen? Eigentlich nichts mehr.
Also schweige ich nun und widme mich meinen Grillwürsten ehe sie alle weggefuttert sind.