Wie es beim Stammtisch so zugeht,
oder: Eugens neue Pfeife
von Joachim Acker
Die Luft im "Schwarzen Drachen" war wie immer dick
und nebelig und roch, besser wäre es allerdings ich würde
schreiben "stank" nach den verschiedenen Tabaksorten
der von den wackeren Mannen am Stammtisch aus ihren Pfeifen verkokelt
wurden.
Der Wirt brachte mir mit krebsrotem Gesicht und mit der Hand
vor dem Gesicht die beißenden Rauchschwaden wegwedelnd,
meinen Tee und stellte mir mit einem harten Plumps den verbeulten
Napf mit dem bestellten Tagesessen vor die Nase.
Selbst wenn ich mich wiederhole und dadurch langweilig werde
für diejenigen unter den geneigten Lesern, die noch nicht
oft im "Schwarzen Drachen" waren, sei nochmals gesagt,
dass es in dieser Gaststube nur ein Essen gab, den weitberühmten,
ach was sage ich: den weltberühmten Erbsen- Kartoffel- und
Gemüseeintopf. Ein riesiger Kessel dieses köstlichen
Mahles wurde am Montag von der Wirtin gekocht und langte dann
die ganze Woche aus. Wenn die Wirtin sehr gut bei Laune war dann
gab es sogar noch kleingeschnittene Wurststückchen darinnen,
und wenn der hungrige Gast sehr viel Glück hatte schwammen
in seinem Teller sogar ein paar Rädchen dieser Raritäten.
Nun, wir waren frohen Mutes, rauchten unsere Pfeifen, erzählten
uns Geschichten aus einer Zeit als die Erde und wir noch jung
waren, leerten die Gläser mit dem köstlichen Birnenmost,
lachten und waren guter Dinge.
Die Tür des Schankraums öffnete sich und unser Freund
Eugen kam herein, ließ sich auf einen Stuhl plumpsen und
verkündete freudestrahlend der Runde, dass er sich heute
nachmittag eine neue Pfeife angeschafft hätte. Ob wir sie
denn mal sehen wollten? fragte er uns scheinheilig, wohl wissend,
dass wir da sofort in ein begeistertes "ja" ausbrechen
würden.
Und dann öffnete er behutsam eine Schachtel vom Ausmaß
eines Schuhkartons und legte eine wahre Monsterpfeife auf den
Tisch: groß wie eine mittlere Kinderfaust war der Kopf
den ich gleich noch näher würdigen werde, ein gebogenes
Mundstück an dem eine rote Trottel hing, zu was die gut
war wußte ich allerdings nicht. Eine Bent, gebaut für
einen Riesen. In der Hand des doch recht schmächtigen Eugen
sah die Pfeife etwas eigenwillig aus, wenn ich es so einmal formulieren
möchte.
Aber nun zum Kopf der Pfeife: werter Leser, schließen Sie
bitte einmal die Augen, ganz fest. Ja, so ist es richtig. Und
nun stellen Sie sich einmal einen knallgelb lackierten, kugelrunden
Pfeifenkopf in der Größe einer Kinderfaust vor, dessen
Rand mit rotzüngelnden Flammen verziert ist, unterhalb der
Flammen sind winzigkleine schwarze Teufelchen zu sehen die in
wildem Reigen die Flammen mit einem Dreizack schüren.
Haben Sie sich dies Bild vorgestellt? Ja? Können sie
sich überhaupt so eine Pfeife vorstellen? Vor Entsetzen
über dies Ding blieb mir, blieb uns Allen der Mund offen
stehen und wir begannen heftig zu schlucken. Welch eine Pfeife,
welch Ausgeburt der Häßlichkeit.
"Wie gefällt sie euch" fragte Eugen freudig
in die Runde der Freunde. Ich versuchte so diplomatisch wie möglich
eine schonende Antwort zu geben, murmelte etwas von: eine Pfeife
muß immer seinem Besitzer gefallen oder sowas ähnliches.
Der Schaufler verkündete kurz und trocken: Häßliches
Biest.
Eugen zuckte zusammen, sein ohnehin schon etwas faltiges Gesicht
faltete sich noch mehr zusammen und trotzig verkündete er:
"Gerade eben habt ihr es gehört: Sie muß mir
gefallen, nicht euch, und mir gefällt sie und Wilhelma (das
war seine über alles geliebte Ehegattin) gefällt sie
auch". Beleidigt schaute er in die Runde und zog einen
alten abgegriffenen Tabakbeutel aus der Rocktasche, füllte
den riesigen Pfeifenkopf mit seinem selbergezüchteten Tabak,
der schon im kalten Zustand sehr eigenartig roch und zündete
seine Neuerwerbung an. Der Tabak bäumte sich verzweifelt
auf und wurde von Eugens Daumen niedergedrückt , die Glut
wurde mittels einiger Strechhölzer noch mehr entfacht.
Mit verklärtem Augen zog er mächtig an der Pfeife,
beißender und zugleich übel riechender Rauch umhüllte
den Kopf vom Eugen und umwob uns. Wir mußten husten, schnappten
nach Luft und rissen das Fenster auf, nach frischer Luft lechzend
und dem sicheren Erstickungstod nahe. Aber unseren Eugen focht
dies alles nicht an, was machte ihm schon der Gestank seines
Tabaks, unser Husten aus: glücklich und zufrieden saugte
er an der Pfeife, ließ gelegendlich ein Schmatzen hören,
so als sauge ein Säugling an der wohlgefüllten Mutterbrust.
Vermutlich wurde die Pfeife zu heiß, denn die gelbe
Lackierung begann Blasen zu werfen, die kleinen Teufelchen wölbten
sich, gleich würden sie platzen. Eugen sah auf den Pfeifenkopf
schielend das kommende Desaster und nahm unwirsch vor sich hin
grummelnd die Pfeife aus der Hand, fluchte laut denn sie war
inzwischen so heiß geworden, dass die Finger schmerzten.
Otto nahm schnell die auf dem Tisch liegende Pfeife und führte
eine echte und sehr kluge Rettungstat aus: er warf die heiße
Pfeife todesmutig in einen gefüllten Mostkrug. Es zischte,
brodelte kurz und dann war der Spuk vorbei. Die Pfeife war gerettet.
Jetzt hättet ihr aber mal den Eugen sehen und hören
sollen als er seine geliebte Pfeife im Mostglas sah, unwirklich
verzerrt und durch die Farbe des Mostes dazu noch giftgrün
aussehend. Statt sich zu freuen, dass seine Pfeife dem Verbrennungstod
entgangen war, geriet der Gute vollkommen außer sich. Er
gestikulierte wild mit den Händen, aus seinem Mund kamen
seltsame blubbernde Geräusche, die sich wie ziemlich bösartiges
Schimpfen anhörten, sein Gesicht lief violett an, die spärlichen
Haare auf seinem breiten Scheitel sträubten sich. Kurzum:
der Eugen war nahe am Platzen.
Der Schaufler tat das einzig richtige in so einer Situation,
geistesgegenwärtig leerte er einen großen Krug Most
über Eugens Kopf. Diese kühne Tat hatte sofort Erfolg:
Eugen schwieg und sein Gesicht nahm wieder eine halbwegs normale
Farbe an.
Dann kam ein gewaltiger Urschrei aus seinem Mund. So könnte
ein Neanderthaler nach mißglückter Jagd seinen Unwillen
und seine Wut in den Himmel geschrien haben, dachte ich mir.
Alles andere ging dann blitzschnell vonstatten: Eugen griff nach
einem Krug, ein schneller und wohlgezielter Hieb auf Ottos Kopf,
der seufzende Klagequietscher Ottos als er zu Boden ging, der
schrille Aufschrei der Wut bei Ottos Ehegattin Liselotte die
heute ausnahmsweise beim Stammtisch dabei war. Liselottes Revanche
und Rachehieb mit der wohlgefüllten Handtasche nach Eugen,
der diesen aber verfehlte und stattdessen den Schaufler traf.
Mein Freund taumelte, geriet aus dem Gleichgewicht und stürzte.
Er wollte sich mit der Hand in einer blitzschnellen Reaktion
noch am Tischtuch festhalten, dies gab aber nach und über
dem am Boden liegenden und verzweifelt mit den Füßen
zappelnden Schaufler breitete sich das Tischtuch aus, samt einem
eindrucksvollen Stilleben aus zerbrochenen Gläsern, Resten
aus den Aschebechern und Mostpfützen.
Dann war Stille, eine Stille die man sehr selten erlebt und
die etwas Unheimliches an sich hat. Wenn eine Fliege im dem Gastraum
gewesen wäre, man hätte ihren Flügelschlag gehört,
so still war es.
Und mitten hinein in diese unwirkliche und zugleich unheilverkündende
Stille ertönte die harte Stimme der Obrigkeit: "Steht
auf ihr (die folgenden Worte werden wegen der Jugendlichen die
diese Zeilen möglicherweise lesen, gestrichen) und kommt
mit aufs Revier. Jetzt ist es genug". Der Ortspolizist der
seinen Abendschoppen zu sich nehmen wollte führte uns ab.
Nun, dieser Mensch war schon immer ein Spaß- und Spielverderber
gewesen.
Draußen, vor dem "Schwarzen Drachen" war schon
eine stattliche Anzahl von neugierigen Bürgern versammelt.
So ein Ereignis sprach sich sehr schnell herum in der kleinen
Stadt und weil sonst nichts los war an Sensationen, liefen die
Leute alle zusammen und begafften uns hämisch, sparten weden
an Spott noch an Hohn. Aber uns focht dies nicht an, mit stolz
erhobenen Kopf, die Pfeifen im Munde und von dichten Rauchwolken
umgeben, folgten wir dem Polizisten.
Naja, der geneigte Leser kann sich vorstellen wie es dann
weiterging: wir wurden wieder einmal dem Richter vorgeführt,
er kannte uns schon, desshalb war die Verhandlung nur kurz, unsere
Verteidigung zwecklos, Einwände und Entschuldigungen wurden
nicht zur Kenntnis genommen. Hausfriedensbruch und Ruhestörung
warf man uns vor.
Und nun sind wir wieder dabei die Straßen der kleinen
Stadt und die Grünanlagen von Unrat und Schmutz zu befreien.
Zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit wurden wir verdonnert.
Jeder von uns natürlich, das versteht sich ja.
Vermutlich werden wir dieses Jahr wieder den Ehrenpreis im Wettbewerb
"Wer hat die saubersten Straßen und Plätze im
Tal" gewinnen. Und dann wird es ein Fest geben, über
das man noch lange im Tal reden wird, ein Fest das in die Geschichte
eingehen und zur Legende werden wird.
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