Wie es weitergeht im "Schwarzen
Drachen"
von Joachim Acker
Feierabend! Welch ein schönes Wort ist das doch, welch
ein Klang verbirgt sich doch hinter diesen Buchstaben. Feierabend:
Ende der Arbeit, der Mühe und der Plage. Feierabend: Zeit
zum Ausruhen, seinen Hobbys nachgehen. Zeit zum Leben.
Auch ich machte an diesen Tag pünktlich zum Glockenschlag
der fünften Stunde Feierabend, stellte den Besen, mit dem
ich die Straßen der kleinen Stadt sorgfältig und gewissenhaft
(aber nur wenn jemand zusah) fegte, zur Seite und begab mich
frohen Mutes, durstig und hungrig in den "Schwarzen Drachen".
Frohen Mutes deshalb weil ich von den 100 Stunden "Arbeit
zum Wohl der Bürger und der Stadt" zu denen wir Mannen
vom Pfeifenraucher Stammtisch verurteilt wurden bereits 6 Stunden
abgedient hatte. Und was sind dann schon noch die paar restlichen
Stunden die noch vor mir lagen, ein Nichts, ein Klacks nur noch.
Als ich die Türe vom Schankraum öffnete, kam mir
außer dem bekannten Tabaknebel nebst Geruch noch schallender
Gesang vom Stammtisch entgegen: mehrstimmig, die Ohren peinigend
aber in allerbester Feierabendlaune ertönte der bekannte
Shanty: "17 Mann auf des Toten Manns Kist, jojo, und ne
Buddel voll Rum"
Eine kurze Schrecksekunde blieb ich wie angewurzelt stehen, ein
kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter. Nicht wegen
dem doch etwas makabren Lied, oh nein. Mir schwante neues Unheil,
dass ob solcher Fröhlichkeit über uns hereinbrechen
könnte. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich mich
mit meinen Freunden in Sträflingskleidung im städtischen
Steinbruch zur Arbeit antreten.
Der Wirt brachte mir das übliche: Tee und einen Teller
Eintopf. Es war mein Glückstag heute, denn in der Suppe
schwammen zwei Rädchen Wurst herum aber nicht lange, denn
sie wurden sofort aufgespießt und verspeist, mit größtem
Genuß, wenn ich das noch anführen darf. Sicher ist
sicher, dachte ich mir, denn inzwischen kannte ich meine Freunde
und ihre Begehrlichkeit wenn es um Wurstzipfel oder ähnliches
ging. Fred, sowieso immer auf der Suche nach etwas Essbaren,
legte enttäuscht und etwas traurig die Gabel wieder auf
den Tisch, räusperte sich und fingerte verlegen an seiner
Pfeife herum.
Franz kam herein, aufgeregt mit den Armen wedelnd das Gesicht
rot angelaufen, verkündete er uns, ob wir es eigentlich
wüssten, dass heute die Suffnasen von der Freiwilligen Feuerwehr,
unsere erklärten Intimfeinde, ihren Herbstabend hätten?
Wir schauten uns an, schweigend. Aber dieses Schweigen barg ungeheuerlich
viele Worte in sich. "Hört, hört", sagte
der Schaufler dann nachdenklich und mit der Pfeife durch die
Luft fuchtelnd, "Das ist aber sehr seltsam. Sonst kündigen
sie so ein Ereignis doch bei Zeiten an. Also Freunde: lasst uns
Pläne schmieden".
Zum zweiten mal lief mir an diesem Abend ein kalter Schauer
den Rücken hinunter und ließ mich innerlich erbeben.
Wenn wir begannen Pläne zu schmieden, so war dies meistens
der Anfang vom totalen Chaos.
"Freunde", sagte ich, "bedenkt bei allen Plänen,
dass der Richter der Kommandant der Feuerwehr ist. Schon der
pure Gedanke einen Streich zu spielen bringt uns hinter Gitter".
Genauso gut hätte ich mich mit einer Wand oder einem Scheunentor
unterhalten können, die hätten vermutlich eher zugehört
als meine Freunde.
Dann wurden die Pfeifen in Brand gesetzt, die Köpfe verschwörerisch
zusammen gesteckt und Pläne erdacht. Und was für Pläne,
einer kühner und verwegener wie der andere, an Dreistigkeit
und Wagemut beinahe nicht mehr zu übertreffen. Im Geiste
zählte ich die Monate zusammen, die wir in der Kerkerzelle
verbringen würden wenn man uns bei diesen Taten erwischte.
Es kamen schreckerregende Zeiten dabei heraus.
Dann, der Abend war schon weit fortgeschritten, unsere Laune
auf dem Höhepunkt und die Pläne reiften ihrer Vollendung
entgegen, hörten wir vom Kirchturm her das Sturmgeläut
der Glocken, Feueralarm. Gleich darauf streckte einer der Feuerwehrmänner
den Kopf zur Tür herein und rief uns zu: "Die Werkstatt
vom Schreiner Mausebart brennt. Einige von uns sind nicht mehr
einsatzfähig. Helft uns bitte", dann war er schon wieder
weg.
Aufgeschreckt rannten wir los, die Gasse hoch und dann rechts
ums Eck. Schon von weitem sahen wir den roten Widerschein der
Flammen, den Rauch der in den Nachthimmel stieg, hörten
die Schreie und Rufe der verängstigten, sorgenvoll hin und
her rennenden Anwohner. Angeleitet vom Kommandanten der Feuerwehr
packten wir nun mit an, schleppten Eimer mit Löschwasser,
hielten Schläuche, betätigten die große Pumpe,
halfen so gut wir konnten das Feuer zu bekämpfen.
Mit vereinten Kräften gelang es uns das Feuer unter Kontrolle
zu bringen und zu löschen. Die Werkstatt war zwar ausgebrannt,
aber wir konnten ein Übergreifen des Feuers auf das ganze
Haus verhindern. Es war ein riesengroßes Glück im
Unglück dass der Brand von heimkehrenden Fußgängern
sehr schnell bemerkt wurde und das es zudem keine Verletzten
dabei gab.
Erschöpft, verschwitzt und total verrußt standen
wir dann auf der Straße, zündeten uns Pfeifen an und
waren froh, dass dies alles so glimpflich ein Ende gefunden hatte.
Die Mannen der Feuerwehr kamen zu uns, bedankten sich für
unsere Hilfe und luden uns ein noch einen Schoppen mit ihnen
zu trinken. Solch ein Angebot ließen wir uns natürlich
nicht zweimal sagen und sagten dankend zu.
Der Eugen und ein Feuerwehrmann wurden als Brandwache bestimmt
und blieben zurück am Ort des Unheils. Ihr hättet hören
sollen, wie diese beiden maulten und lautstark dagegen protestierten,
aber es nützte ihnen nichts.
Bei einem Schoppen blieb es natürlich nicht, es wurden
doch eine ganze Menge und eine sehr fröhliche Restnacht
noch dazu. Es versteht sich von selbst, dass wir nicht mehr an
unsere verwegenen Pläne dachten. Nein: einträchtig
und zufrieden saßen wir mit den Feuerwehrmannen in der
Runde, tranken, rauchten unsere Pfeifen und waren guter Dinge.
Der Morgen graute schon als wir aufbrachen, mit schweren Beinen
und einem dicken Kopf. Der Kommandant, im Hauptberuf Richter
in unserer Stadt, versuchte noch eine kleine Dankesrede zu halten,
aber außer Geblubber und seltsamem Gekicher kam ihm nichts
aus dem Mund, der Birnen- und Apfelmost hatte auch bei ihm gründliche
Arbeit geleistet. Er war, das konnte man deutlich sehen, aufgefüllt.
Fred und der Schaufler wurden in zwei Schubkarren geladen
und unter großem Hallogeschrei nach Hause gefahren, Otto
auf eine Leiter gelegt und von zwei Feuerwehrmänner getragen.
Unterwegs fiel er runter und verletzte sich ein bisschen am Kopf,
aber sein Greinen verstummte bald. Er wurde wieder aufs neue
verpackt und weiter ging es.
Müde und schlapp, mit einem Kopf in dem kleine Zwerge rumtobten,
kam ich dann endlich zu Hause an, fiel die Treppen hoch, schlug
mir dabei das Schienbein an, schimpfte laut aber niemand hörte
mich. Die Schlafkammer war nicht mehr da, irgendjemand hatte
sie entführt, aber ich war zu müde um mich darüber
aufzuregen. In der Stube ließ mich auf das Sofa fallen,
platt und tot wie eine überfahrene Feldmaus.
Einige Tage später wurden wir aufs Rathaus gerufen. Der
Richter, diesmal nüchtern, hielt uns einen kleinen Vortrag,
lobte und dankte uns nochmals für unsere Hilfe und als Höhepunkt
setzte er unsere Strafe zur Bewährung aus. Freudestrahlend
bedankten wir uns und gingen hinüber in den "Schwarzen
Drachen" um diese frohe Kunde gebührend zu feiern.
Das wäre dann aber wieder eine andere Geschichte.
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