Im Keller

von Joachim Acker

 

Durch einen unglücklichen und sicherlich auch vermeidbaren Unfall im Haushalt hatte ich mir eine ziemlich große Beule an der Stirn eingehandelt und um meinen Schmerz zu lindern und um Trost und Zuspruch zu erhalten begab ich mich in den "Schwarzen Drachen" um mich mit einem Glas Most und durch das Mitleid meiner Freunde zu stärken. Ein Glas Most zur Stärkung brachte mir zwar der Wirt, aber vom Mitleid meiner Freunde war keine Spur zu sehen. Der Schaufler kramte sofort einen kleinen Meterstab aus seiner Tasche um die Beule zu vermessen, Franz wollte mir aus seiner Apotheke ein sehr gutes Mittelchen das auch im Garten zur Läusebekämpfung verwendet werden kann holen. Otto lachte nur und murmelte etwas von besser aufpassen ich sei ja schrecklich verunstaltet und würde total asymmetrisch aussehen. Eugen, nach langer Zeit auch wieder einmal in unserer Runde, meinte daraufhin, dass durch einen Schlag mit einem Mostkrug die Symmetrie wieder hergestellt werden könnte. Darüber war ich nun ganz und gar nicht begeistert und äußerte auch lautstark mein tiefstes Missvergnügen an so einer verwerflichen Absicht. Fred äußerte sich dümmlich grinsend, dass ein Schleifchen um die Beule gebunden mein Aussehen beträchtlich steigern würde. Die Bemerkungen vom dürren Karl behalte ich lieber für mich, sie könnten sittliche und zartfühlende Gemüter doch zutiefst verletzen.

Nun, lieber Leser, Sie sehen, dass aus dem Kreis meiner Freunde kein Mitleid zu erwarten war und da Sie sich nun sicherlich fragen, was denn nun geschehen sei, möchte ich Ihnen diese ganze Geschichte erzählen. Stopfen Sie sich also eine Pfeife, lehnen Sie sich bequem in ihren Sessel und hören Sie zu:

Eine der Tätigkeiten vor der ich mich am liebsten fern halte und einen großen Bogen herum mache ist das Keller aufräumen. Irgendwann wird dann aber das Chaos so groß, dass es einfach keinen Ausweg mehr gibt, die Ausreden die einem an diesem wichtigen Tun hindern sind aufgebraucht und wenn nicht werden sie immer wahnwitziger und irrsinniger. Also blieb mir letztendlich nichts mehr übrig als am Vormittag mit frischem Mut, gestärkt durch eine Tasse Kaffee und einen Teller Porrigde das nahezu Unmögliche in Angriff zu nehmen.
Eine Pfeife wurde gestopft, natürlich mit meinem Lieblingstabak, Streichhölzer eingesteckt, ein kühner und zweckmäßiger Plan war ebenfalls schon entwickelt und dann stieg ich die Kellertreppe hinab um den Kampf gegen Kartons und ausrangierten Krimskrams, herumliegenden Werkzeug und wasweißichnochalles zu beginnen.
An der drittletzten Kellerstufe stolperte ich, versuchte mich noch am Geländer zu halten, griff daneben und stürzte die letzten paar Stufen hinab. Offensichtlich hatte ich mir den Kopf angeschlagen, denn es wurde einen Moment dunkel vor meinen Augen aber das ging gleich vorüber, ein ordentlicher Dickschädel hält schon einen Bums aus. Aufrappelnd ergriff ich meine Pfeife, sie hatte beim Herunterfallen eine kleine Schramme abbekommen, steckte sie wieder in meinen Mund und ging den Kellergang entlang.
Seltsam war es: noch nie kam mir der Kellergang so lang vor wie dieses Mal. Meine Schritte hallten dumpf und hohl zwischen den Wänden und der Gang wurde immer länger und länger. Ein leises Unbehagen überkam mich, irgendetwas stimmt doch da nicht, dachte ich mir, aber ich wollte nicht ängstlich sein und schritt weiter, immer weiter. Es war sehr still hier unten, nur das hallende Tappen meiner Schritte war zu hören, und endlos dehnte sich der Gang, schwach beleuchtet von einer unsichtbaren Lichtquelle.
Mit jedem Schritt den ich machte wuchs mein Unbehagen und ich begann zu pfeifen wie ein kleiner Junge der des Nächtens durch einen dunklen Wald gehen muss und mit dem Pfeifen seine Angst zu vertreiben versucht. Meine Pfeife war ausgegangen und stehenbleibend zündete ich sie mit zitternden Händen wieder an, der Rauch beruhigte mich etwas und etwas mutiger geworden schritt ich weiter.
Irgendwann sah ich einen Lichtschein in der Ferne und beim näher kommen erkannte ich ein hell loderndes Feuer um das drei Gestalten saßen. Dass es Hexen waren die da ums Feuer hockten erkannte ich auf den ersten Blick und ein Angstschauer durchfuhr mich so als ob mir ein Messer in den Rücken gestoßen würde.
Mein erster Gedanke war Flucht, aber wie von einem unsichtbaren Strick gezogen ging ich auf das Feuer und die Weibsen zu. Wild und verwegen sahen sie aus, ungepflegt mit langen zotteligen Haaren, mit zerrissenen dreckigen Lumpen bekleidet, ein Anblick zum Fürchten und zum Davonlaufen wenn ich gekonnt hätte. Alle Drei rauchten aus langen Tonpfeifen einen abscheulich riechenden, nahezu bestialisch stinkenden Tabak und lachten mich aus zahnlosen Mündern an während sie mit klauenartigen Händen im Kessel der auf dem Feuer stand herum rührten. Mein Atem setzte aus als ich erkannte mit was da gerührt wurde: es waren Knochen, blanke, lange Knochen.
Es war ein Anblick wie aus einer Höllenphantasie von Pieter Bruegel entsprungen. Mir kamen die Shakespear´schen Hexenverse aus dem Macbeth in den Sinn:

Um den Kessel dreht euch rund,
Werft das Gift in seinen Schlund;
Kröte, die im kalten Stein
Tag´und Nächte, dreimal neun,
zähen Schleim im Schlaf gegoren,
sollst zuerst im Kessel schmoren.

Sumpf´ger Schlange Schweif und Kopf
brat´und koch im Zaubertopf:
Molchesaug und Unkenzehe,
Hundemaul und Hirn der Krähe;
zäher Saft des Bilsenkrauts,
Eidechsbein und Flaum vom Kauz;
Mächt´ger Zauber würzt die Brühe,
Höllenbrei im Kessel glühe!

Die Drei erkannten wohl meine Angst denn sie zeigten mit dem Fingern auf mich und begannen zu lachen, ein so durchdringendes schauderhaftes Lachen das mir der Angstschweiß den Rücken hinab jagte und mich frösteln ließ.
In einem wilden und zügellosen Tanz begannen die drei Weibsen der Finsternis den Kessel mit dem dampfenden Inhalt und mich, der ich vor Entsetzen wie zur Salzsäule erstarrt war, zu umtanzen. Immer schneller wurde ihr Reigentanz, immer lauter und gellender ihre schrillen Schreie, die Füße stampften den Takt, ich wurde an den Händen gepackt und im Kreise herumgewirbelt, musste mitmachen ob ich wollte oder nicht.
Das Toben war zu Ende, eine unsichtbare schwere Hand legte sich auf meine Schulter und drückte mich zu Boden. Da saß ich nun ermattet vom wilden Treiben im Kreise dieser Höllenbrut, die nun unentwegt wieder im Kessel rührten und dabei dichte Rauchwolken aus ihren Pfeifen in den Nachthimmel, oder was immer es war das sich da über uns wölbte, entließen.
Warum und vor wem ich denn Angst hätte, fragte mich die eine und lachte krächzend wie eine Saatkrähe, misstönig und schauderhaft anzuhören. "Komm, gib uns von deinem Tabak etwas ab, er riecht gut", sprach die andere. Als ich ihnen bedauernd erklärte, dass ich keinen Tabak dabei hatte schauten sie mich mit scharfen Augen an und schüttelten voller Unwillen und Missmut die Köpfe. Es wäre überhaupt nicht gut in ihr Reich zu kommen und keinen Tabak als Gastgeschenk dabei zu haben. Überhaupt nicht gut bekräftigten sie nochmals, ein grober Fehler den nur ein sehr dummer und unwissender Mensch begehen konnte.
Ja, und dann saß ich im Irgendwo um ein Feuer in der Gesellschaft von drei Hexen, schlimmer hätte ich es mir selbst in meiner Phantasie nicht vorstellen und ausmalen können und rauchte mit ihnen Pfeife, aber es war weder Genuss noch Vergnügen, das könnt ihr mir glauben.
Meine Angst besiegend fragte ich, was denn da in dem Kessel gekocht würde. Es wäre besser gewesen, ich hätte diese Frage nicht gestellt.
"Darin befindet sich die beste Zaubersuppe die Hexen kochen können. Uns fehlt nur noch eine einzige Zutat, dann kann sie vollendet werden" sagte die dritte Hexe die bis dahin geschwiegen hatte und schaute mich mit einem eigenartigen Blick an. "Wir haben lange darauf gewartet, aber nun ist die Zeit gekommen und wir können vollenden was wir begonnen haben", fügte die Alte noch hinzu.
Eine dunkle Ahnung sagte mir, dass ich möglicherweise diese Zutat sein könnte und wie von tausenden Taranteln gestochen sprang ich auf und lief so schnell ich konnte davon. Mein Atem keuchte, beinahe bekam ich keine Luft mehr, das Herz schlug wie rasend als ich um mein Leben davon lief. Im dahinjagen hörte ich ihr Gekreische hinter mir, ihre Schritte, glaubte ihren Atem im Genick zu spüren. Angst verleiht Flügel sagt man gerne im Volksmund und mir wuchsen in der Tat so etwas wie Flügel, so schnell rannte ich davon. Aber doch nicht schnell genug. Von ihrem schrecklichen Lachen geschüttelt, schleppten mich die Hexen zurück an das Feuer und zum Kessel in dem die widerliche Brühe, kochende Blasen werfend, schwappte und brodelte. Zappelnd und mich mit Händen und Füßen wehrend, versuchte ich dem Unheil zu entrinnen, es war vergebens. Näher und näher kam der Kessel, der Gestank der Suppe wurde unerträglich, und dann hoben mich die Hexen hoch und.....

Meine Frau, die Beste aller Ehefrauen, sagte mir später, sie hätte mich, als sie vom Einkaufen nach Hause kam, an der Kellertreppe liegend gefunden. Ich sei wohl gestürzt und eine zeitlang bewusstlos gewesen, die Beule an meinem Kopf sei aber nicht schlimm und würde bald vergehen.
Noch lange Zeit danach ging ich nur widerwillig und unter Protest, meine Frau verstand dies Gehabe und Getue überhaupt nicht, in den Keller hinab.

Geschrieben für meinen Freund Gert der sich eine Schauergeschichte wünschte.