Frühling

von Joachim Acker

 

Es war ein Frühlingstag wie er im Buche steht, warm schien die Sonne von einem tiefblauen Himmel herab, ein leiser Luftzug bewegte die Blüten der Narzissen in einem steten auf und ab, hin und her.
Es hielt mich nicht mehr in der Stube und ich ging hinaus in den Garten, setzte mich auf die Bank und füllte meine Pfeife mit meinem Lieblingstabak. Als ich sie anzünden wollte, bemerkte ich, dass die Pfeife zu fest gestopft war, der Zug stimmte nicht. Mit dem Dorn lockerte ich den Tabak auf, dann ging gar nichts mehr, das Zugloch war verstopft. Missmutig vor mich hingrummelnd nahm ich einen Reiniger und stopfte ihn durch Mundstück und Holm, die Verstopfung löste sich und endlich konnte die Pfeife in Gang gebracht werden. Genüsslich vor mich hinrauchend blickte ich den Rauchwolken nach, sah wie sie im Luftzug verwehten.
Es war schön nach all den Wochen der Kälte und der Wintertrübe pfeiferauchend in der Sonne zu sitzen und das Erwachen der Natur mit allen Sinnen in sich aufzunehmen, das frische Grün der ausschlagenden Büsche zu sehen, den Frühling zu riechen.
Weiß und Gelb blühten die Narzissen, ihre Köpfe nickten im Takt des Windzuges der durch den Garten strich. Der Wallflower, den deutschen Namen vergesse ich immer wieder, erblühte soeben, die buntgefärbten Stiefmütterchen und Primeln reckten ihre Blüten der Sonne entgegen. In einer Ecke des Gartens begannen die Tulpen aufzublühen, zwischen ihren Stengeln hüpfte ein Gartenrotschwänzchen ruhe- und rastlos herum, eifrig auf Nahrungssuche.
Auf dem weißblühenden bienenumschwirrten Pflaumenbaum flötete eine Amsel ihr melancholisch-melodisches Lied, aus der Ferne bekam sie Antwort. Was sich die Amseln wohl zu sagen, zu erzählen hatten, fragte ich mich.
Wie es ihnen im Winter erging, wie schlimm die Kälte war, wie der Hunger sie peinigte und wie froh sie waren, dass nun diese schlimme Zeit vorüber sei? Wer weiß es schon?
Mich wunderte, dass dem Salat unter der Folie noch nicht von den kleinen gefräßigen Schleimerlingen der Garaus gemacht wurde. Vermutlich hat es sich bei dem Schneckenvolk noch nicht herumgesprochen, daß es im Garten frisches und höchst wohlschmeckendes Grünzeug gab.
Als ich zu den bereits verblühten Krokussen sah, wurde mir wieder bewusst, dass in all dem Werden bereits der Keim des Vergehens innewohnte. So ist der Sinn und der Weg der Natur: Ein ewiger Kreislauf des Er-und Verblühens, des Kommens und Gehens, nichts und niemand wird davon ausgeschlossen.

Meine Pfeife war ausgegangen und ich entzündete sie von neuem. Ja, es war schön hier in der Wärme zu sitzen und zu rauchen, den Gedanken Raum und Zeit zu geben, einfach vor sich hin zu dösen.
Mir kam der vergangene Stammtischabend im "Schwarzen Drachen" ins Gedächtnis. An die Gespräche mit den Freunden, an die Fröhlichkeit der Pfeifenraucherrunde, der leckere Eintopf der immer wieder gern gegessen wurde.
Der Schaufler kam etwas später, setzte sich, präparierte seine Pfeife mit seinem Rauchkraut, zündete sie an und kramte dann aus seiner Tasche den Rest einer Tonpfeife hervor. "Ich habe sie heute beim Ausheben eines neuen Grabes gefunden" sagte er und reichte sie uns, damit wir das Fragment betrachten konnten. Ein innen schwarzverkohlter nach vorne geneigter Pfeifenkopf, außen braun verfärbt mit einem abgebrochen Stiel machte die Runde. Man sah es der Pfeife an, dass sie häufig geraucht wurde, sie war wohl lange Zeit der treue Begleiter des Unbekannten dem sie schließlich mit ins Grab gegeben wurde. Irgendwie war es bedrückend als ich da das letzte Überbleibsel eines Menschen in den Händen hielt. Nichts außer dieser kaputten Pfeife und ein paar vermoderte Knochen ist von ihm übrig geblieben. Nichts! Es war ein erschreckender und betroffen machender Gedanke, der mich da erfasste, aber nicht nur mich, sondern auch meine Freunde. Auf dem kleinen Wandregal über dem Stammtisch fand die Pfeife dann ihre letzte Ruhestätte, zusammen mit den anderen Pfeifen die der Schaufler schon bei seiner Arbeit gefunden hatte.
Nur langsam und zögernd fanden wir zu einem anderen Gesprächsthema, die Stimmung blieb aber auf eine seltsame und eigenartige Weise gedrückt, unsere sonstige Fröhlichkeit war dahin. Aber es schadet nicht wenn sich der Mensch einmal über ernstere Sachen Gedanken macht, denn auch dies ist ein Teil des Lebens.

Meine Pfeife war schon wieder ausgegangen, sie wollte wohl nicht so wie ich wollte. Es wäre besser gewesen ich hätte die Verdichtung nicht mit dem Stopfer aufgelockert sondern die Pfeife ausgeräumt und nochmals gefüllt.
Aber nun, nach einigem hin und her und rumrühren im Pfeifenkopf, brannte sie endlich zufriedenstellend und ich hing wieder meinen Gedanken nach.
Der Wind frischte auf und trieb kleine Erdstaubwolken vor sich her und brachte die Blüten der Blumen zum tanzen. Ein grünschillernder großer Käfer war unglücklicherweise auf den Rücken gefallen und zappelte im Gras zu meinen Füßen herum, vorsichtig, denn man konnte ja nie wissen was für ein beißwütiges Untier sich da im Gras tummelt, drehte ich ihn um und der kleine Krabbler suchte eifrig das Weite.
Ja, so saß ich auf der Bank im Garten in der warmen Frühlingssonne und träumte.
Ich sah mich mit meinem inneren Auge auf einem Felsblock am Meer sitzen, spürte den frischen Wind der landeinwärts pfiff im Gesicht und schaute hinaus auf die unendliche Weite der See. In der Ferne, nahe am Horizont und kaum noch zu sehen, zog ein Schiff seine einsame Bahn: War es ein Tanker, ein Frachter oder gar ein Piratenschiff? Der Gedanke ein Piratenschiff zu sehen hatte etwas verlockendes an sich und zum Schluss war ich mir absolut sicher dass dies wirklich ein Pirat war der da zu neuen kühnen Taten und Beutezügen aufbrach.
Als ich allerdings Abends im Pub bei einem Pint of Guinness von meiner Beobachtung und meinen Schlussfolgerungen erzählte erntete ich nur ziemlich mitleidige Blicke. Mir ging es genauso wie dem Käpt´n Blaubär wenn er von den Zwergpiraten erzählt, auch ihm wird nicht geglaubt.
Aber was soll's? Ich wusste genau was ich da draußen gesehen habe. Wartet nur ab: eines Tages liegt das Schiff im Hafen und beschießt euch mit seinen Kanonen und dann werdet ihr ausgeplündert und alle eure Habseligkeiten davon getragen. Das sagte ich aber den Gästen im Pub nicht, ich wollte ihnen die gute Laune nicht verderben außerdem hätten sie meiner Warnung doch nicht geglaubt.

Plötzlich hörte ich die Stimme meiner angetrauten Herzallerliebsten: Ob ich noch lange hier im Garten rumsitzen und trödeln wolle oder ob ich mich endlich einmal dazu bequemen könnte, das Gemüsebeet umzugraben.
Meine gemurmelte Erklärung, dass ich die Grabegabel nicht finden könne, wurde mit einer unwirschen Handbewegung und der nun etwas ärgerlich klingenden Bemerkung: "Die lehnt genau neben dir an der Bank" abgetan.
Nun, es war vorbei mit dem dösen und träumen im Garten. Ade Piratenschiff, Lebewohl und gute Fahrt.