Das Geisterschiff
von Joachim Acker
Ein kräftiger kühler, beinahe kalter Wind wehte
von der See her und ließ mich frösteln, der grauverhangene
Himmel über Nordwales ließ zudem nichts Gutes ahnen.
Auf einem Felsblock inmitten einer Wiese sitzend begann ich meine
Pfeife zu stopfen, zündete sie an und sah wie der Wind den
Rauch im Nu verwehte.
Das Blöken der emsig futternden Schafe, graue Wollknäuel
die das Hinterteil dem Wind entgegen streckten und das ängstlich
helle mäh-mäh der neugeborenen Lämmer drang an
mein Ohr. Es war ein friedlich anmutendes Bild: Die weidenden
Schafe, die auf noch unsicheren Beinen daherstakenden Lämmer,
dazu das Gelb des blühenden Stechginsters der die Hänge
der nahen Hügel mit einem goldenen Teppich überzog.
Von der Ferne ertönte der dunkle und dumpf klingende Ruf
eines einsamen Fasans. Als ob es sie mit diesem Ruf gemeint war
begann eine Goldammer ihren melodischen Ruf zu zwitschern, von
irgendwoher ertönte ganz leise und gerade noch vernehmbar
eine Antwort.
Der Wind nahm zu und trieb die ersten Regentropfen heran. Um
nicht nass zu werden flüchtete ich in das zerfallene Gemäuer
der nahe stehenden Kapelle von Hen Lligwy.
Ein paar ausgetretene Stufen führen hinunter in die kleine
niedrige im Zwielicht dämmrige Krypta und setzte ich mich
dort auf einen Stein und zündete meine Pfeife erneut an.
Es war mir doch etwas unheimlich, ja sogar beklemmend in diesem
kahlen Raum, aber immer noch besser hier im trockenen zu sein
als draußen langsam aber sicher nass zu werden. Der Rauch
meines Tabaks erfüllte die Krypta und vertrieb den modrigen
alten Geruch nach längst Vergangenen und Vergessenen. Wer
fand wohl in diesem Gemäuer seine letzte Ruhestätte?
Ein Heiliger vielleicht oder ein Eremit der hier sein restliches
Leben dem Schöpfer weihte? Ich weiß es nicht und werde
es niemals erfahren. Aber der düstere Raum strahlte eine
eigenartige Atmosphäre aus, etwas was ich nicht oder nur
unzureichend in Worte fassen kann.
In meiner Einbildung und Phantasie glaubte ich die Gesänge
der einst hier betenden Mönche zu hören, dumpf und
wie aus sehr weiter Ferne drangen sie an mein inneres Ohr und
ließen mich erschaudern.
Als ich dann nach einiger Zeit, als ich es hier in der Düsternis
nicht mehr aushielt, wieder emporstieg und im Tageslicht stand,
die frische Luft atmete, war der Regen vorübergezogen und
ich setzte meinen Weg zum nahen Meer fort. Die Wolkenbänke
rissen auf und die Sonne brach hindurch: Welch ein Licht umflutete
mich da, mit Worten nicht zu beschreiben wie die nassen Blätter
der Büsche und Hecken im Sonnenlicht funkelten und gleißten,
wie das Gelb des Ginsters erstrahlte und die Regentropfen darauf
glitzerten als ob es tausende Diamanten wären, und dazu
noch sein Geruch: Süß und schwer. Eine Fülle
an Duft die mich beinahe benommen machte.
Der Wind hatte zugenommen und zerrte an meinen Kleidern, an
ein Pfeiferauchen war unter diesen Bedingungen nicht mehr zu
denken. An einer einigermaßen windgeschützten Stelle
setzte ich mich auf einen Felsen und schaute hinaus auf die aufgewühlte
See. Mit weißen Schaum gekrönte Wellen brachen sich
donnernd an den Klippen der Küste, jedes Mal sprühte
ein Wasservorhang auf der sich über die Felsen ergoss und
schäumend in die See zurück floss.
Der Wind drehte sich und ich stopfte mir trotz aller Widrigkeiten
eine neue, sehr dickwandige Pfeife und setzte sie mühsam
und mit vielen Streichhölzern in Brand. Natürlich ist
es etwas verwegen und riskant bei solch einem Wind Pfeife zu
rauchen, aber eine gut eingerauchte Pfeife die dazu noch dickwandig
ist und deren Brennraum zusätzlich noch mit der Handfläche
geschützt wird, kann sowas locker aushalten.
Was wohl der Felsblock auf dem ich saß erzählen könnte
wenn er der Sprache mächtig wäre und mir, dem unbedeutenden
Menschen etwas mitteilen möchte überlegte ich mir.
Was könnte er erzählen aus fernen Zeiten als die Erde
jung war und noch nicht von den Menschen in Besitz genommen,
von welchen Begebenheiten könnte er berichten? Was sahen
seine Augen, was hörten seine Ohren wenn er denn welche
hätte? Aber ich erhalte auf solche Fragen keine Antwort,
es wird auch keine geben denn Steine reden nicht.
Im aufgewühlten Wasser trieben Seetangfelder an die Küste,
lange braune Girlanden die im Wellengang die seltsamsten Formen
annahmen, eines dieser Gebilde sah aus wie eine Hand die mir
zuwinkte und mich zum kommen aufforderte.
Aus dem Wasser stieg nun Nebel auf. Es war eigentlich kein richtiger
Nebel sondern mehr eine flache grauweiße Nebelbank die
auf die Küste und auf mich zuwaberte. Und aus dieser Nebelbank
tauchte plötzlich ein uraltes Segelschiff auf, die zerfetzten
Segel an den Rahen flatterten im Wind und gaben knallende Geräusche
von sich. Es holte im Sturm weit über, berührte beinahe
mit der Backbordreling das Wasser und richtete sich mit einem
ächzenden stöhnenden Geräusch wieder auf. Am Bug
des Schiffes stand eine Gestalt, sie war in einen schwarzen Umhang
gekleidet der vom Sturm zerzaust wurde. Das Schiff jagte so nahe
an den Klippen und an mir vorüber dass ich das bleiche bartstoppelige
Gesicht der einsamen Gestalt deutlich sehen konnte. Es war wahrlich
ein unheimlicher Anblick und zutiefst unwirklich noch dazu. Ein
uraltes Schiff das nahezu ein Wrack war, Segelfetzen die im Sturme
flatterten, die Gestalt am Bug, der zersplitterte Besanmast,
dazu noch das brausen und heulen der Naturgewalten. Fürwahr
ein gespenstischer Anblick der mich wieder aufs Neue erschaudern
ließ. So plötzlich wie das Schiff aufgetaucht war
verschwand es wieder in einer Nebelbank, ein kurzer Spuk war
vorüber und ich war mir nicht einmal sicher ob ich das Geisterschiff
wirklich gesehen hatte oder ob es nur meiner überreizten
Phantasie entsprungen war.
Meine Pfeife war schon lange erloschen, vor lauter Schreck
hatte ich vergessen daran zu ziehen. Irgendwie gelang es mir
sie trotz Wind wieder anzuzünden und beim rauchen kamen
mir die alten Geschichten von einem einsamen Schiff und seinem
verlorenen und verdammten Kapitän die bis in alle Ewigkeit
dazu verflucht waren über die Weltmeere zu segeln in den
Sinn. Ruhelos und gefürchtet bei allen ehrlichen Seeleuten
tauchte das Schiff mal hier mal da auf, verbreitete Furcht und
Schrecken bei Allen denen es begegnete und verschwand so schnell
wieder wie es erschien.
Abends im Pub als ich mich an einem Pint Guinness labte erzählte
ich von dieser Begegnung. Eigenartigerweise lachte mich niemand
deswegen aus, einige der Alten nickten sogar vielsagend mit den
Köpfen. Einer, er saß ganz hinten allein an einem
kleinen Tisch, kam an die Theke und sah mich mit wissenden Augen
an. Dann berichtete er mir und allen anderen Gästen dass
er dieses Schiff ebenfalls in seiner Jugend gesehen hatte. Sein
Anblick würde Jedem der es sah Unglück und großes
Leid bringen. Und dann erzählte er mit leiser Stimme dass
bald nachdem er das Geisterschiff sah das Schiff auf dem er damals
angeheuert hatte in einem fürchterlichen Hurrikan unterging.
Er und zwei Kameraden seien die Einzigen gewesen die gerettet
wurden, und dies erst nach Tagen der allergrößten
Not und Gefahr an Leib und Seele. Nach dieser Erzählung
des alten Seebären war es lange still, was für einen
walisischen Pub doch sehr ungewöhnlich war.
Sehr nachdenklich und von der Erzählung des alten Seemannes
auf seltsame Art und Weise berührt ging ich später
zurück in mein Quartier. Als ich meine Abendpfeife am Fenster
stehend rauchte sah ich beim hinausschauen weit draußen
auf See nochmals das Schiff vorüberziehen und Angst überkam
mich.
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