Meine neue Pfeife
von Joachim Acker
Schon seit geraumer Zeit wartete ich mit stetig wachsender
Ungeduld auf meine bestellte Tabakpfeife und als endlich das
gelbe Auto vor meinem Haus hielt, wieselte ich schneller als
der Schall zur Haustür und nahm die Sendung in Empfang.
Das Auspacken gestaltete sich wegen der hunderte von Metern Klebeband,
mit denen das kleine Päckchen umwickelt war, etwas schwierig,
aber dieses Problem meisterte ich gekonnt, allerdings leise vor
mich hin grummelnd. Als das Päckchen dann endlich geöffnet
war, quoll ein Berg von winzigkleinen Papierschnipselchen heraus
die sich sofort auf meinem Schreibtisch breit machten. Die nächsten
zehn Minuten verbrachte ich damit sie aufzukehren und einzusammeln,
mein neugierig gewordenen Kater wollte mir dabei helfen und verteilte
die Bröselchen noch mehr, es war ganz offensichtlich, dass
er seinen Spaß daran hatte, meine Freude hielt sich allerdings
sehr in Grenzen. Auf die sicherlich sehr hilfreiche Idee zum
Zweck der Schnipselbeseitigung den Staubsauger zu nehmen, kam
ich leider erst, als ich alles mühsam auf der Kehrschaufel
hatte.
Endlich konnte ich dann den schwarzen Lederbeutel öffnen
und meine neue Pfeife betrachten. Eine wunderschöne Canadian,
wie diese Form mit ihrem langen Holm genannt wird. Gefertigt
hatte sie mein Lieblingspfeifenmacher Peter Klein aus Hilchenbach,
den ich in meinem privaten Sprachgebrauch nur den >Meister<
nenne.
Wenn Sie nun, geneigter Leser, Hilchenbach auf der Landkarte
suchen möchten, dann brauchen Sie viel Geduld und noch mehr
Zeit, denn dieser Ort liegt weit ab von jeglichem Geschehen am
Rande der bewohnten Welt. Noch zwei oder drei Meilen und der
Wanderer, der sich in diese Gegend verirrt hat, betritt das Land
der furchterregenden Orks, der grimmigen Trolle und sonstiger
Unholde, die den Menschen das Leben dort schwer machen. Besser
ist es, der Fremde meidet diese Gegend.
Doch, meine Neuerwerbung sah echt toll aus, sie gefiel mir
außerordentlich gut. Der Kopf, innen unbehandelt und glatt
geschliffen, zeigte eine etwas unruhige schräg verlaufende
Straight Grain Maserung, am Boden und auf dem Holm Bird´s
Eyes, wie der Kundige diese Formen der Maserungen nennt.
Der lange ovale Holm gab dieser hölzernen Schönheit
ihr unverwechselbares typisches Profil, der Abschluss aus Buchsbaum
der am Mundstück angebracht war ihr überaus elegantes
Aussehen. Was mir besonders auffiel war das geringe Gewicht der
Canadian, knappe 50 Gramm wog sie, wie ich nach langer nerviger
Suche nach der Briefwaage endlich feststellen konnte.
Ja, und nun liegt sie vor mir und ich nehme sie immer wieder
zur Hand, betrachte und erfreue mich an ihrer Maserung, fühle
mit den Fingern ihre glatten ebenmäßigen Rundungen.
Wahrlich eine perfektes Stückchen und eine Augenweide wenn
ich mal so enthusiastisch formulieren darf.
Ich nehme eine meiner Pfeifen
aus dem Regal, schneide meinen Lieblingstabak zurecht, stopfe
sie und dann als ich genüsslich die Rauchwolken zur Stubendecke
blase überlege ich mir was die Canadian, besser gesagt:
das Holz aus dem sie erschaffen wurde, wohl erzählen könnte
wenn sie der Schöpfer mit einer Stimme bedacht hätte.
Das Holz würde uns sicherlich von seiner Heimat erzählen,
von den kargen rauhen und unwirtlichen Berghängen Korsikas
oder Kalabriens, von eisigen schneestöbrigen Winterstürmen
die heulend übers Land fegten, von hitzeflirrenden Sommern
die den Boden austrockneten und ihm das Leben erschwerte. Was
könnte überhaupt erzählt werden, denn das Holz
wuchs ja unter der Erde in der Dunkelheit heran. Es raunten ihm
die Zweige und Blätter das Geschehen an der Oberwelt zu
und ein Wiesel, dass nebenan seinen Bau hatte, versorgte das
Holz mit den neuesten Nachrichten. Es ist mit Sicherheit ein
einsames Leben gewesen dort in der Erddunkelheit. Die Zweige
hatten es da etwas besser, sie sahen das Sonnenlicht und Vögel
machten Rast auf ihnen, kündeten den Zweigen von der Weite
da draußen. Die Holzknolle unter der Erde bekam höchstens
mal Besuch von einem Wurm, der seinen Gang hinein bohren wollte.
Und was könnte das Holz erzählen von jenem Tag,
als Männer kamen und es aus der Erde schaufelten? Als es
seine Heimat verlor und noch schlimmer: sein Leben. Wir wissen
es nicht, was uns das Holz davon berichten könnte, aber
es wäre sicherlich eine traurige Erzählung voller Leid
und Qual. Aber es bleibt stumm. Das Holz hat zwar eine Seele
aber keine Stimme um das was es fühlte und erlebte in Worte
zu fassen. So habe ich ihm meine Stimme gegeben.
Es wurde zu Tal getragen, lange Zeit zusammen mit vielen anderen
Artgenossen gelagert, irgendwann zersägt und gekocht, getrocknet
und wieder gelagert und schließlich in einen Sack verpackt
und in ein fernes Land verschickt. Dort, im fernen Hilchenbach
in den Werkstattkellerräumen einer uralten Schule wurde
aus dem Stück Holz durch die kundige Hand eines Meisters
eine Tabakpfeife erschaffen.
Und dann kam die letzte Reise, hinab in den Süden in
ein, zwischen Weinbergen gelegenes Tal, hinein in den Kreis vieler
Geschwister.
Ja, und nun liegt sie vor mir, hell gebeizt und glänzend
poliert, ein edles, elegantes kleines Kunstwerk und wartet darauf
zum ersten Mal mit Tabak gefüllt zu werden.
Vielleicht war das die Bestimmung, das Schicksal für dieses
Holz vom Anbeginn der Zeit an.
Wenn der geneigte Leser sachlichere Informationen über
den Pfeifenmacher Peter Klein lesen möchte, wird er hier
fündig.
|