Der Stammtisch zieht um

von Joachim Acker

 

Erschreckt nicht liebe Leser, wir wurden nicht aus unserem geliebten "Schwarzen Drachen" hinausgeworfen, sondern gingen voller Begeisterung auf ein sehr zuvorkommendes Angebot von Paulchen unserem Wirt ein. Er machte beim letzten Treffen den Vorschlag, dass wir doch mit unserem Tisch und der Stammtischfahne in die obere Gaststube ziehen könnten, dort wären wir ungestörter und könnten uns ohne missbilligende Blicke anderer Gäste unserer Leidenschaft widmen.

Gerne nahmen wir dieses Angebot an und über unsere Gesichter lief ein Schmunzeln allerdings mit einem Hauch von Verlegenheit gepaart als wir daran dachten unter welch denkwürdigen Umständen wir vor einiger Zeit den Zugang nach oben ermöglichten.

Jene unvergessliche Szene als die Hausmagd Franziska durch die niederbrechende Decke herabrauschte, schaumbedeckt wie weiland Aphrodite und samt Badezuber einschließlich dem Wasser und der Quietschente mit der sie offensichtlich zu baden pflegte in der Gaststube landete, wird wohl für ewig und alle Zeiten in unserem Gedächtnis verankert bleiben. Erinnert ihr euch daran, geneigte Leser?

Schelmisch und verklärt lächelnd schauten wir wackeren Mannen uns an und der Schaufler sagte: "War ein netter Anblick, muss ich schon sagen". So konnte er allerdings nur reden, weil seine geliebte und beste aller Ehefrauen nicht anwesend war.
Fred warf einen prüfenden Blick die steile Treppe empor, schätzte mit seinem unbestechlichen und höchst präzisen Augenmaß die Öffnung durch die Decke ab und verkündete dann, dass der Tisch ohne Probleme hindurch passen würde.
Wir nahmen noch einen stärkenden Schluck aus unseren Mostgläsern, zündeten unsere Pfeifen an und machten uns ans Werk. Der Tisch wurde abgeräumt und mit vereinten Kräften unter die Treppe geschleppt. Nun müsst ihr wissen dass dieser Tisch ein wahres Monstrum seiner Gattung ist, groß und rund aus allerbestem Eichenholz gefertigt und sowas von schwer. Ein Prachtexemplar von einem Tisch der selbst einen Vergleich mit dem legendären "Round Table" des Königs Arthurs nicht zu scheuen brauchte.

Offensichtlich hatten die anderen Gäste ziemliche Bedenken bei dem was wir hier vorhatten, denn sie beglichen ihre Zeche und verließen mit einem unüberhörbaren: "Wir bringen uns lieber in Sicherheit" den Drachen. Es hatte doch den Anschein als würden sie uns solch ein Unternehmen nicht zutrauen und wir blickten ihnen etwas säuerlich hinterher.
Otto und der Schaufler gingen hinauf, ließen kräftige Seile herab die wir an den Tischbeinen befestigten und auf das Kommando von Franz begannen die Zwei zu ziehen und wir schoben von unten mit aller Kraft. Es war eine schwere Arbeit den Tisch die wenigen Meter in die Höhe zu wuchten, nur mit wirklich vereinten und den allerletzten Kräften die wir noch mobilisieren konnten gelang es uns schließlich dies schweißtreibende Werk zu vollenden..
Entsetzt stellten wir fest, dass es mit dem Augenmaß von Fred wohl nicht weit her war, denn dies Monster von einem Tisch passte nicht durch die Öffnung, die Beine waren zu lang.
Wir hielten kurz Rat und suchten dann im Keller des Drachens nach einer Säge, wurden auch fündig und begannen die Tischbeine ein Stück kürzer zu machen. Auf der steilen Treppe war dies allerdings sehr mühselig und wir ließen den Tisch langsam und vorsichtig wieder herunter. Das heißt wir wollten es aber leider rutschte den Zweien das Seil aus der Hand, der Tisch rutschte abwärts und kam krachend und eine dicke Staubwolke aufwirbelnd in der Gaststube zu liegen.
Ein schriller Schmerzensschrei war zu hören und unter der Tischplatte lugten die zappelnden Füße von Fred hervor. Den Armen hat es voll erwischt aber als wir ihn aus seiner beklemmenden Lage befreit hatten und ihm einen guten Schluck Most einflößten kam er bald wieder zu sich. Zum Glück war ihm nichts ernstliches geschehen, sein enormer Bauchumfang hat wohl in einem gewissen Sinn als Federung gewirkt. Wir schleppten ihn in eine Ecke, stellten den Mostkrug neben ihn Karl wedelte ihm frische Luft zu, und sägten nach dieser barmherzigen Tat weiter an den Tischbeinen herum.
Dann begann die ganze Prozedur des ziehens, hebens und stemmens unter großem ächzen und stöhnen wieder von vorne. Nun passte auch der Tisch durch die Öffnung, allerdings nur ein kleines Stück denn dann wurde die Rundung des selben zu groß und er saß fest.
Also wurde er wieder runtergelassen, diesmal glücklicherweise ohne Zwischenfälle. Jetzt war guter Rat teuer. Wir machten eine kleine Pause, tranken einen ordentlichen Schluck aus den Krügen, präparierten unsere Pfeifen und kamen dann zu dem schlauen Rat dass uns wohl nichts anderes übrig bliebe als zwei Möglichkeiten in Betracht zu ziehen: Entweder in der unteren Gaststube bleiben oder den Tisch in der Mitte durch zu sägen. Ersteres ließ unser Stolz nicht zu, denn dies käme einer Niederlage gleich also begannen wir den Tisch zu zersägen.
Die so entstandenen zwei Hälften in die obere Etage zu bringen war nun kein größeres Problem mehr. Kunstvoll und ohne Mühe wurde nun der Tisch durch Bretter die an der Unterseite befestigt wurden wieder zusammengenagelt, die aus der Tischplatte herausstehenden Nägel abgezwickt und der Rest krummgeschlagen, später kam ja ein Tischtuch darüber und die Nägel blieben unsichtbar. Stolz und mit unserem Werk zufrieden begutachteten wir das Ergebnis. Nun gingen wir daran die abgesägte Tischbeine wieder anzufügen, das heißt wir wollten es aber die Stücke waren nicht mehr da und blieben auch nach eifrigster zunehmend verzweifelnd werdender Suche unauffindbar. Nach einiger Zeit stellte sich dann heraus dass Franziska die herumliegenden Holzklötze eingesammelt hat und damit den Küchenherd befeuerte. Ihr könnt euch sicherlich unsere Missbilligung ob solch einer frevelhaften Tat lebhaft vorstellen.
Wir wurden jetzt mit einer sehr unangenehmen Tatsache konfrontiert: Die Tischbeine wurden nicht gleichmäßig abgesägt sondern mehr nach dem Gefühl und nun wackelte dieser Tisch aller Tische wie ein Kuhschwanz.

Nun, was soll ich dazu sagen? Es wurde wieder zur Säge gegriffen und die Füße auf ein einheitliches Maß zugesägt. Leider wackelte der Tisch immer noch als wir ihn aufstellten. Wir müssen ihn etwas unterlegen, war unser fachmännischer Kommentar dazu.
"Nichts da" erwiderte Eugen, "Ein guter Handwerker sägt so präzise dass ein unterlegen nicht nötig ist". Wieder trat die Säge in den kundigen Händen von Eugen in Aktion und nach einigen Testphasen stand der Tisch nahezu perfekt. Er hatte allerdings den einen Nachteil dass er ziemlich niedrig geworden war, als wir auf unseren Stühlen davor saßen mussten wir uns zu unseren Gläsern ziemlich tief bücken. Der gute Eugen war plötzlich sehr still und in sich gekehrt und sein gemurmeltes: "Er wackelt aber nicht mehr, und in Japan lieben sie solche niedrigen Tische" hatte einige böse Blicke zur Folge.
Nach langen hin und her waren wir uns dann einig dass der Tischlermeister Hoffler aus der Krummen Gasse mit der Anfertigung neuer Tischbeine beauftragt würde, die Unkosten würde die Stammtisch-Kasse tragen. Leider war er bei der Feuerwehr, das machte die Sache besonders peinlich denn diese Burschen waren unsere erklärten Intimfeinde. Nun, wir hatten keine andere Wahl denn es gab nur einen Schreiner in der kleinen Stadt, also bissen wir in diesen sauren Apfel.
Der Rest des Abends verlief dann noch in einer sehr gelösten Stimmung, nur Fred hing etwas zerknautscht und irgendwie fertig in seinem Stuhl und gab nur ab und zu japsende Laute von sich die sich sehr lustig anhörten.
Wir aber tranken unseren Most, waren fröhlich und guter Dinge und nebelten mit den Pfeifen den neuen Raum ein dass bald die Hand vor den Augen nicht mehr zu sehen war.