Die Geburtstagsfeier

von Joachim Acker

Es ist uralte Sitte und Brauch die Geburtstage unserer Stammtischfreunde im >Schwarzen Drachen< mehr oder weniger ausgelassen zu feiern. Weniger kam eigentlich sehr selten vor, mehr war bei uns allemal die Regel, meistens sehr zum Verdruss von Paulchen unserem so geduldigen und durch nahezu nichts zu erschütternden Wirt.

Dieses Jahr, es war im Frühherbst, planten wir in durchaus fröhlicher Stammtischrunde den Geburtstag von Otto, dem genialen Leiter des örtlichen Jungfrauenchores. Paulchen erfuhr natürlich von unseren redlichen Absichten und bat uns händeringend und beinahe unter Tränen dies Vorhaben doch nochmals zu überdenken. Da es ein wunderschöner Herbst war, sonnig und warm, könnten wir doch, so war sein Vorschlag, im Wald in romantischer Umgebung solch eine Feier veranstalten. Dies wäre schonend für seine neuen Stühle und Mostkrüge und uns würde ein Ausflug in die Natur sicherlich sehr gut tun. Alles in allem wäre es nahezu optimal für seine Nerven. Begeistert griffen wir diesen Vorschlag auf und begannen sofort mit den Einzelheiten der Planung.

Am verabredeten Tag trafen wir uns dann alle, stopften die Pfeifen mit mehr oder weniger gutriechenden Tabak, zündeten sie an und zogen los, unser Ziel: Der Stadtwald hinter dem Galgenberg. Mein Freund Schaufler zog den Karren mit den Mostfässchen, dem dicken Fred wurde der Transport unserer Verpflegung anvertraut, die werten Damen trabten kichernd und mit extrem guter Laune unserem Zug hinterher.

In regelmäßigen Abständen, grob geschätzt so alle 500 Schritte, machten wir eine kleine Pause und erfrischten uns am Most um Kraft für die nächste Etappe zu sammeln. Der Weg in den Stadtwald zog sich hin, um ihn abzukürzen beschlossen wir eine Wiese zu überqueren. Der Galgenberg könnte so umgangen werden, denn dort war es nicht geheuer. Schauerliche Geschichten von schrecklichen Geschehnissen machten oftmals die Runde in der Stadt.

So zerrten wir nun unsere Karren über das niedrige, zur Morgenstunde noch taufeuchte Gras, umgingen die Hinterlassenschaften der Kühe die einst hier weideten und standen plötzlich vor einem unerwarteten Hindernis: Ein Bach querte munter plätschernd die Weide. Natürlich gabs weit und breit keine Brücke und um nicht umkehren zu müssen schleppten wir mit vereinten Kräften und mit nassen Hosenbeinen unsere Wagen auf die andere Seite. Die Damen begannen ob dieses Umstandes zu quengeln und forderten, zunehmend energischer werdend, dass sie hinübergetragen werden. Es sei ihnen nicht zuzumuten dass sie den Bach durchwaten müssten, außerdem würden Gentlemen immer ihre Liebsten durch solch Hindernisse tragen. Ich fragte mich welche Filme denn die Guten anschauten.

Also nahmen die verheirateten Freunde ihre Angetrauten mehr oder weniger liebevoll auf die Arme und trugen sie durch den Bach, was bleib ihnen auch anderes übrig. Sie hatten keine Wahl.

Das andere Ufer war steil und rutschig, Eugen glitt aus verlor das Gleichgewicht und landete samt Emma im Bach. Das Wasser war nicht tief, knappe 50 cm vielleicht, Emma bekam nur ein nasses Achterteil weil sie auf ihrem unglücklichen Eugen saß. Der aber zappelte luftringend unter Wasser, Fred und Schnuffi befreiten beide aus ihrer misslichen, für Eugen nicht ungefährlichen Lage, und schleppten sie aufs trockene.

Wir fanden dies natürlich überaus lustig und lachten lauthals, Emma war weniger erfreut, das könnt ihr euch sicherlich vorstellen. Zuerst maulte sie den triefnassen Eugen an weil er sie fallen ließ und offensichtlich unfähig war sie zu tragen und dann uns, erstens weil wir lachten und zweitens weil es einfach unschicklich sei über ihr Unglück Freude zu empfinden, sie sei nun nass und würde sich erkälten.

Da wir schon nahe am Wald waren machte ich den Vorschlag wir könnten Holz holen, ein Feuer entzünden und Emma könnte ihre Kleider am Feuer trocknen. Meine Freunde waren natürlich von diesem Vorschlag total begeistert und rannten sofort los um Äste zu sammeln. Emma strafte mich mit einem Blick der einen sensiblen Menschen zur Salzsäule hätte erstarren lassen.

Also dann eben nicht, grummelte ich vor mich hin, dann bleibst du eben nass und bekommst garantiert einen Schnupfen wenn nicht gar schlimmeres. Wieder ein böser Blick und ich verstummte. Wir stopften uns neue Pfeifen und als wir sie entzündet hatten setzten wir nach einiger Zeit unseren Weg fort.

Irgendwann kamen wir dann, durch die vielen Pausen in sehr fröhlicher Stimmung, auf der für unsere Feier vorgesehenen Lichtung an. Wir sammelten Holz, entzündeten das Feuer und alsbald hielten wir an langen Stecken unsere Würste in die Glut, aßen, tranken und waren guter Dinge.

Kurzum: Es war eine prächtige Feier zu Ehren unseres Jubilars. Nun, es wurde spät. Die Nacht brach herein, wir saßen ums Feuer, tranken Most und rauchten unsere Pfeifen, erzählten uns Geschichten aus vergangenen Zeiten. Es war ein überaus schöner Abend, romantisch noch dazu.

Plötzlich hörten wir eigenartige grunzende Geräusche, das brechen von Ästen, rascheln in den Büschen. Und dann brachen sie hervor: Eine Horde Wildschweine die offensichtlich die Lichtung als ihr persönliches Eigentum betrachteten. In wilder Panik, beherrscht vom Gedanken an schnelle Flucht und Erhaltung des Lebens wuselten wir durcheinander: doch wohin?

Ein naher Hochstand erwies sich als Rettung in allerletzter Sekunde. Die Damen kletterten schrill kreischend als erste hoch, dann wir. Leider ist so ein Hochstand weder sehr geräumig noch überaus stabil, er brach krachend unter uns zusammen und wir landeten allesamt sehr unsanft auf dem Erdboden. Wir hatten viel Glück denn es gab außer einigen Abschürfungen und Beulen keine wirklich ernsthaften Verletzungen.

Der Wildschweinhorde war das ganze wohl nicht geheuer, denn sie stob davon. Vielleicht hatten sie die gleiche Angst wie wir vor ihnen, wer kennt schon die Gefühle und Ängste eines Schweinchens. Wie dem auch sei: Wir waren gerettet, etwas ramponiert zwar aber heil an Leib und Seele.

Um das Maß der Dinge noch vollzumachen begann es zu regnen, erst ein paar Tropfen aber dann so heftig dass wir in kürzester Zeit vollkommen durchnässt wurden.

Als wir in vollkommener Dunkelheit den Heimweg antraten waren wir nun doch etwas genervt und nicht gerade in Hochform, das muss ich ehrlich sagen und bekennen. Es ist wohl diesen Umständen zu verdanken dass wir in den falschen Weg einbogen und statt aus dem Wald heraus immer tiefer hinein wanderten.

Als wir gewahr wurden in welch prekärer Situation wir uns befanden lief es uns kalt den Rücken hinunter, guter Rat war nun teuer. Es war unsere Rettung dass im Moment der größten Not der Regen nachließ, sich die Wolken teilten und wir im fahlen Mondlicht die schemenhaften Umrisse einer Waldarbeiterhütte sahen. Dort verbrachten wir die Nacht, durchnässt, frierend, hungrig und ohne Most, letzteres war besonders schlimm. Wenigstens hatten wir genug Tabak dabei, an Feuerzeugen mangelte es auch nicht, so wurde unser Schicksal doch ins halbwegs erträgliche gemildert.

Am nächsten Morgen fanden uns Waldarbeiter, sie waren so freundlich uns mit ihrem Fuhrwerk in die Stadt zurückzubringen. Leider war an diesem Tag Markt in unserer Stadt und unser aufgelöstes Erscheinen sorgte für allerhand Aufmerksamkeit und Spott. Der Pfeifenraucherstammtisch des >Schwarzen Drachens< war einmal mehr das Hauptgesprächsthema an diesem Tag, wie es eben so ist in einer kleinen Stadt.