Die Pfeifenausstellung im "Schwarzen Drachen"

von Joachim Acker

 

Zur Zeit ist es etwas schwierig in den „Schwarzen Drachen“ zu gelangen denn unmittelbar vor dem Eingang wurde von fleißigen Bauarbeitern mittels eines Baggers ein breiter Graben ausgehoben. Die Wasserleitung war undicht und bedurfte dringend einer Reparatur die nun endlich vor einigen Tagen mit Schwung, Eifer und großem Getöse in Angriff genommen wurde.

Aber davon soll im Moment nicht die Rede sein, es hat erst später seine weitreichende und höchst folgenschwere Bedeutung, sondern von unserem neuestem Vorhaben.

Ihr müsst zum besseren Verständnis wissen dass der Kaninchenzüchterverein vor einigen Wochen der staunenden Stadtbevölkerung seine haarigen Hoppelviecher vorstellte. Diese Ausstellung fand großen nahezu enthusiastischen Anklang bei den Bürgern und wurde auch in der örtlichen Presse ausgiebig gelobt und gefeiert.

Was die Kaninchenzüchter können das können wir auch, war unsere einhellige Meinung beim Stammtisch. Zu vorgerückter Stunde wurde daher beschlossen dass wir, der Pfeifenraucherstammtisch des „Schwarzen Drachens“, ebenfalls eine Ausstellung organisieren um dort unsere Pfeifen vorzustellen. Als besonderen Höhepunkt wollten wir noch einige berühmte Pfeifenmacher einladen, Künstler deren Namensnennung schon einen ehrfürchtigen Schauer den Rücken herunter gleiten lässt. Voll Bewunderung möchte ich stellvertretend für alle anderen nur den Namen „Balduin der Unerreichbare“ nennen. Und, haltet euch fest und holt tief Luft, eine Einladung erging auch an „Willibald, genannt der Filigrane“. Ja, ihr lest richtig: Diese großen Künstler, die Michelangelos der Pfeifenbauer, haben wir eingeladen.

Einige der Stammtischfreunde, Franz, Karl der Dürre und Peter der Große, fertigten ihre Pfeifen selber und könnten so den Bürgern des Stadt sehr anschaulich die Herstellung einer Tabakpfeife zeigen. Wir anderen die von Profipfeifenmachern gefertigte Pfeifen rauchten könnten unsere Pfeifen vorführen um so die große Vielfalt von Formen darzustellen.

Es war jammerjammerschade dass von den im Lande wohnenden Pfeifenmachern die wir angeschrieben hatten keiner bereit war zu erscheinen. Vom großen Balduin erhielten wir nicht mal eine Antwort. Später hörte ich dann durch Zufall dass sie der Ruf des Pfeifenraucherstammtisches abgeschreckt hätte und der „Schwarze Drache“ so was wie ein Schreckgespenst wäre, kurzum: Eine Teilnahme an der Veranstaltung hätte ihren Ruf nachhaltig geschadet.

Soweit so gut, Plakate mit den Einladungen wurden gepinselt und in der Stadt verteilt, unser Raum im Obergeschoss des Drachens grundlegend gesäubert und dekoriert, die Tische in Reihen gestellt und natürlich ausgiebig gelüftet.

Dann kam der Morgen und mit ihm der große Tag, unser Tag, den wohl alle die ihn erlebt haben nicht mehr vergessen werden.

Pünktlich um 8 Uhr trafen wir uns im Drachen, genehmigten uns einen Begrüßungstrunk und begannen mit dem Aufbau der Ausstellung, legten Pfeifen auf die Tische, Tabakdosen, Stopfer und Pfeifenreiniger daneben, und hängten selber gemalte Pfeifenbilder auf.

Franz bat mich um Hilfe und zusammen wuchteten wir einen riesigen Hackklotz die schmale Treppe hoch. Auf meine erstaunte Frage warum und wieso gab er mir zur Antwort dass er auf diesem Klotz die Rohform seiner Pfeife herausarbeitet, ich würde es dann schon sehen wenn er seine großen Fähigkeiten demonstriert. Wir seien eh Ignoranten die sein übergroßes Genie nicht zu würden wüssten, brummelte er noch vor sich hin.

Karl, ein großer Freund tönerner Pfeifen, schleppte einen großen Zuber mit Ton herbei, dazu noch einen ausgedienten Backofen. Peter zerrte zusammen mit seinem Sohn eine ausladende Werkbank ins Obergeschoss und wuchtete sie in eine Ecke.

Um es kurz zu machen: Es war ein heillosen wildes Gewusel treppauf und treppab aber es hatte irgendwie Sinn, offensichtlich steckte auch ein gewisser Plan dahinter denn pünktlich mit dem 11 Uhr Glockenschlag der Stadtkirche konnte Paulchen die Türen des Drachens öffnen und die Bürger hereinlassen. Zuerst etwas zögerlich, dann aber mutiger schritten erwartungsfrohe Besucher die Treppe hoch, staunten ob der Vielzahl der ausgestellten Pfeifen mit ihren manchmal etwas eigenwilligen Formen die unter Kennern als „Shapes“ bezeichnet werden.

Dann kam der große Auftritt von Franz: Mit einer mächtigen Axt schlug er mit wuchtigen Schlägen einen Holzklotz in mehrere Teile, bearbeite sie dann mit einem kleinen Handbeil, feilte und hobelte dass die Späne flogen, bohrte mit einem urtümlichen Handbohrgerät das mittels eines Fußantriebs in Betrieb genommen wurde einige Löcher, lackierte dann den Holzblock, fügte ein Mundstück ein und präsentierte den ungläubig schauenden Besuchern eine neue, in reiner Handarbeit gefertigte Pfeife. Über Form und Aussehen dieser Pfeife könnte dann natürlich noch lange und ausgiebig diskutiert werden, aber wenn Freund Franz daran seine Freude hat wollen wir sie ihm nicht verderben, schon gar nicht mit bösen Kommentaren.

Karls Tonpfeifenherstellung war der große Renner bei den Kindern, sie durften mit seiner ausdrücklichen Genehmigung den Ton weich und geschmeidig kneten. Es lag auf der Hand dass sie innerhalb kürzester Zeit aussahen wie die Wildscheine im Stadtwald nach einem Wolkenbruch und ausgiebigen Bad in einer Pfütze.

Das Brennen der fertigen Pfeifenrohlinge im rotglühenden Uraltbackofen wurde zwar von Paulchen sehr misstrauisch verfolgt und beäugt aber es gab, abgesehen von einigen Brandflecken im Fußboden und einer übergroßen Rauchentwicklung im Raum keine unliebsamen Zwischenfälle. Das Ergebnis selber ließ aber sehr zu wünschen übrig, denn mit dem Backofen konnte nicht die erforderliche Hitze erzeugt werden. Aber was soll´s, die Besucher bekamen auf alle Fälle ein anschauliches Beispiel zu sehen.

Peters Werkbank auf der er gekonnt seine Pfeifenrohlinge drechselte rief ebenfalls das erstaunen der Schaulustigen hervor. Auf kleinstem Raum war alles integriert was ein Pfeifenmacher an Gerätschaften brauchte um seine Pfeifen herzustellen: Mittels einer klugen Transmission die mit dem Fuß angetrieben wurde konnte er drechseln, schleifen, bohren und anschließend die fertige Pfeife polieren.

Dass bei alledem unsere Pfeifen nicht ausgingen und der Mostkrug schneller leer war wie er gefüllt werden konnte versteht sich und bräuchte in besonders betont werden.

Der Besucherstrom war nicht gerade üppig, zu unserer Enttäuschung fanden nur an die 30 Besucher den Weg in den Drachen, die hatten aber ihren Spaß und erwiesen sich zudem noch als sehr wissbegieriges und interessiertes Publikum.

Nun, jeder Tag geht einmal zu ende, so auch dieser, als der letzte Besucher den Drachen verlassen hatte schloss Paulchen die Gaststube ab. Wir vom Stammtisch saßen noch bis spät in die Nacht zusammen, rauchten unsere Pfeifen, tranken Most und sprachen über den vergangenen Tag.

Lange nach Mitternacht machten wir uns dann auf den Heimweg, kamen aber nur ein paar Schritte weit denn der Schaufler hatte die überaus gute Idee wir könnten ein bisschen mit dem am Rande des Grabens stehenden Bagger baggern und so den Bauarbeitern ein wenig zu Hilfe kommen. Da sich der Schaufler gut mit Baggern auskannte war er der erste der das Monstrum von Maschine in Gang setzte und gekonnt eine große Schaufel voller Steine und Erde neben dem Graben ausleerte. Dann kam wir an die Reihe und unter der sachkundigen Führung meines Freundes werkelten wir vergnügt mit dem Bagger herum.

Hätten wir nur die Finger davon gelassen denn plötzlich begann es sehr stark nach Gas zu riechen, die Gasleitung war unserer Schaffenskraft zum Opfer gefallen. Paulchen rief warnend dass wir unsere Pfeifen wegstecken sollten. Gedankenverloren klopfte einer der Freunde (sein Name wird für alle Zeiten unser Geheimnis bleiben) seine Pfeife aus, Funken fielen wohl in die Baugrube und mit einem Rotorangen Stichflamme und einem Knall der weithin zu hören war explodierte das ausströmende Gas. Durch den Druck der Explosion wurden wir weggeschleudert, blieben aber von einigen Schrammen abgesehen zu unserem großen Glück unverletzt.

Als sich Rauch, Staub und herumwirbelnder Dreck gelegt hatten sahen wir das ganze Ausmaß der Katastrophe, es war erschreckend: Der Schwarze Drachen war nur noch ein Trümmerhaufen, ein wirres Durcheinander zerbrochener Balken, zerborstenen Steinen und Glas, überdeckt von dem durchdringenden Geruch ausgelaufener zerscherbter Mostfässer.

Über das Chaos in der Stadt und über das Geschehen der folgenden Tage möchte ich nicht mehr reden, wir erlebten es wie in einem bösen Traum in dem uns ein Nachtmahr peinigte, es war einfach fürchterlich.

Die Schwüle des vergangenen Tages begann sich in einem heftigen Gewitter zu entladen, Blitze zucken vom Himmel herab und beleuchteten kurz die mit Stroh ausgelegte Zelle im Turm unserer Stadt. Im grellen Schein sah ich meinen Zellengenossen, eine Maus die ich Fridolin getauft hatte, übers Stroh huschen. Wir waren alte Bekannte, beinahe schon Freunde, denn schon einmal teilte ich das düstere Verließ mit ihr.

Ich trat zu dem vergitterten Fenster, stellte mich auf die Zehenspitzen und schaute hinaus ins hereinbrechende Unwetter und fragte mich dabei ob wir, die Freunde vom Pfeifenraucherstammtisch des einstigen Schwarzen Drachens, wohl je wieder aus dem Turm in die Freiheit entlassen werden.