Der "Schwarze Drachen" wird wieder aufgebaut

von Joachim Acker

 

 

 

 

Endlich wieder in Freiheit, was für ein wundervolles Gefühl. Ungeheure, nie oder sehr selten gekannte Glücksgefühle durchströmten uns wackere Mannen vom Pfeifenraucherstammtisch. Und im Überschwang der Gefühle die mit uns durchzugehen drohten vollführten wir wahre Freudentänze vor dem Rathaus unserer Stadt.

Doch lasst es mich in gewohnter Manier möglichst sachlich und unvoreingenommen berichten.

Vielleicht erinnert ihr euch an den letzten Satz meines Berichtes über die Pfeifenausstellung und ihr tragisches Ende mit der Zerstörung des >Schwarzen Drachens<: "Ich trat zu dem vergitterten Fenster, stellte mich auf die Zehenspitzen und schaute hinaus ins hereinbrechende Unwetter und fragte mich dabei ob wir, die Freunde vom Pfeifenraucherstammtisch des einstigen Schwarzen Drachens, wohl je wieder aus dem Turm in die Freiheit entlassen werden."

Wohlan. Drei Wochen hausten wir in den unwirtlichen, düsteren und alles andere als heimeligen Zellen des Turmes und haderten mit dem Schicksal, mit den widrigen Umständen und mit uns selbst. Tags gepeinigt vom Ungeziefer das über uns herfiel, Nachts frierend schlaflos auf strohigem Lager unruhigen Schlaf findend. Schreckliche Tage waren es, glaubt es mir ruhig.

Der Tag des Gerichts über uns Frevler war gekommen, unser Verteidiger lief bei der mit großer Anteilnahme der Bürger stattfindenden Verhandlung zu großer Form auf, er übertraf sich in Redegewandtheit und kühnen Schlussfolgerungen selber. Mit Geschick und großartigen Gesten konnte er nachweisen dass die Baustelle vor dem Drachen nicht den Vorschriften gemäß abgesichert war. In erster Linie hätten entsprechende Hinweisschilder die das betreten der Baustelle verbieten gefehlt, außerdem sei der Bagger nicht abgeschlossen gewesen.

Kurzum: Wir wurden nur zu einer Haftstrafe wegen groben Unfugs verurteilt, die aber mit der Dauer unserer Haft im Turm abgegolten war. Den Schaden musste die Baufirma begleichen, das heißt sie wurde verpflichtet mit unserer Hilfe den Drachen wieder aufzubauen.

Dies milde Urteil stieß bei vielen Bürgern auf einiges Unverständnis, sie hätten uns lieber außer Landes gewiesen gesehen, möglichst weit weg. Am Besten nach Grönland oder an den Südpol, am Allerbesten aber auf den Mond.

Es waren schwere Wochen die nun folgten, im Umgang mit Hacke und Schaufel ungeübt bekamen die meisten von uns Schwielen an den Händen, schmerzende Rücken und noch mancherlei andere Gebrechen. Nur der Schaufler war in seinem Element, wie ein Maulwurf grub er sich durch den Schutt der vom einstigen Drachen übrig geblieben war.

Es gab aber auch Glücksmomente in dieser harten Zeit. Im riesigen Gewölbekeller hatten einige Mostfässer das Unheil überstanden, ihr Inhalt tröstete uns bei der staubigen und dazu noch schweren arbeit und beflügelte ungemein unsere Schaffenskraft.

Beim Ausräumen des Kellers fanden wir in einer Ecke hinter einem altersschwachen Regal eine hölzerne, mit altertümlichen Schriftzeichen versehene Tür. Neugierig geworden versuchten wir sie zu öffnen, das war gar nicht so einfach denn sie war eingerostet. Aber mit vereinten Kräften gelang es uns schließlich doch, knarrend öffnete sich die Tür und gab den Blick auf einen langen dunklen Stollen frei. Natürlich beschlossen wir den Gang zu erkunden und im Licht eilends herbeigeholter Laternen tappten wir einer hinter dem anderen in den spinnwebdurchzogenen Gang.

Ein bisschen Bange war uns schon dabei, wenigsten mir (das gebe ich ehrlich zu), aber wir waren gewiss keine Feiglinge also schritten wir mutig voran.

Zuerst führte der Gang geradeaus, dann über einige Stufen in die Tiefe, geradeaus und wieder nach oben. Hinter einer Biegung wurde es hell und wir traten hinaus ins Freie.

Vor uns lagen sonnenüberflutete Wiesen, hier und da ein Baum, in der Ferne dunkelschimmernde Hügel, Vögel wie wir sie noch nie gesehen hatten zwitscherten munter im Flug. Seltsam war nur, wir schauten uns fassungslos und ungläubig an, das Gras war nicht grün sondern leuchtete in einem hellen Blau.

Eugen deutete mit zitternder Hand gen Himmel, wir schauten nach oben und sahen zwei Sonnen die mit ihren gleißenden Strahlen das unbekannte Land erhellten.

Nun erfasste uns doch so etwas wie Panik, wir drehten uns um und wollten durch den Gang wieder zurück, aber er war nicht mehr da. So sehr wir auch suchten, er war und blieb verschwunden.

„Himmel hilf“ hörte ich hinter mir mit halberstickter Stimme Fred flüstern. Wahrlich, solch Hilfe konnten wir jetzt gebrauchen. Ich drehte mich um, wollte etwas sagen aber die Worte blieben mir im Hals stecken denn meine Freunde waren nicht mehr zu sehen, sie waren spurlos verschwunden so wie der Gang der uns herbrachte. Vor wenigen Sekunden hörte ich sie noch und nun war ich allein, Mutterseelen allein.

Was um alles in der Welt geschieht hier, wo bin ich überhaupt?

Der Verzweiflung nahe setzte ich mich ins Gras und barg meinen Kopf in den Händen. Angst überfiel mich und ich hoffte inständig dass dies nur ein böser Traum ist und ich in wenigen Augenblicken aufwachen würde.

Auszug aus den „Stadtnachrichten“ vom 5. Februar 2007:

Selbst Heute, nach so vielen Wochen, ist das rätselhafte und zutiefst mysteriöse Verschwinden des Pfeifenraucherstammtisches von der Polizei, die sogleich eine Sonderkommission eingerichtet hat, noch nicht aufgeklärt.

Wie schon mehrfach berichtet wurden die Männer am Freitag vor 5 Wochen, es war gegen Abend, zuletzt von mehreren Zeugen in der Baugrube des >Schwarzen Drachen< gesehen. Seitdem fehlt von ihnen jegliche Spur. Unerklärbar bleibt auch die Anhäufung von Fußspuren in einer Ecke des Kellers. Gründliche Untersuchungen fanden dort nur die uralten Mauersteine der Kellerwand.

Es ist unter diesen Umständen verständlich dass es in unserer Stadt von ungeheuerlichen Gerüchten nur so brodelt, aber darauf wollen wir hier in unserer Zeitung nicht eingehen.