Meine neuesten Erlebnisse im Kinmel Arms zu Moelfre

von Joachim Acker

 

Zurück aus dem Urlaub möchte ich euch, liebe Leser, mein Erlebnis im einzigen Pub dieses kleinen Küstennestes an der Ostküste von Anglesey nicht vorenthalten. Vermutlich werdet ihr mir diese Geschichte nicht glauben, aber ich kann euch versichern: So hat es sich wirklich zugetragen.

Das Steak war so was von zäh dass es sich nur unter größter Anstrengung zerteilen ließ, zudem schmeckte es grauenvoll. Vermutlich war das Rind von dem es stammte aus der Zeit Cromwells. Und die Chips (So werden die Pommes in diesen Breitengraden genannt) waren schlapp und weich, sie hingen wie betrunkene Nudeln von der Gabel. Das alles ließ sich nur mit etlichen Gläsern Guinness irgendwie herunterschlucken. Aber was soll's, ich hatte Hunger, also wurde es gegessen. Die mich kennen wissen dass ich vor nichts essbarem zurückschrecke.

Anschließend trank ich noch ein paar Pints von diesem dunklen, bitteren Gebräu auf das Wohl meiner Freunde Willi und Gert.

Als ich aufstand und meine Rechnung begleichen wollte begann sich plötzlich die Erde zu drehen und zu schwanken. Kams vom Guinness oder vom Condor der in meiner Pfeife glimmte, ich weiß es nicht. Auf alle Fälle kam mir der Erdboden entgegen und ich lag flach wie eine Flunder danieder. Das letzte was ich sah war das besorgte Gesicht des Wirtes der sich mitleidsvoll aber auch etwas belustigt über mich beugte. Dann riss der Film und ich versank in tiefer Dunkelheit.

Das Erwachen war übel, wobei dieses Wort nicht im Geringsten meinen wahren Zustand wiederspiegelte. In meinem Kopf tobte eine Horde wildgewordener Zwerge die hämmernd nach irgendwelchen Erzen schürften, die Welt um mich herum schwankte und ächzte in wiederkehrendem Rhythmus. Langsam begriff ich dass ich mich in einer dunklen Kammer befand und in einer hin und her pendelten Hängematte lag.

„Hi, hi“ hörte ich eine Stimme aus dem Dämmern der Kammer, „Unser Neuer kommt zu sich“. Mühsam wendete ich meinen Kopf und sah eine kleine zerlumpte Gestalt in einer Ecke sitzen. „Wo um alles in der Welt bin ich“ fragte ich.

„Du bist auf der Queen Anne Revenge, und ich bin Edward Teach, genannt Blackbeard, der Schrecken die Weltmeere“ sprach eine andere Stimme zu mir. Umdrehend sah ich eine große schwarzbärtige Gestalt deren Kopf seltsam verdreht auf den Schulter saß.

„Aber die Queen Anne Revenge sank doch 1718 und im gleichen Jahr wurdest du von Maynard und der Royal Navy überwältigt und getötet, dein Kopf wurde am Schiff Maynards angenagelt“ antwortete ich nach einigem überlegen.

„Ja, so war es. Eines Tages fiel mein Kopf runter vom Nagel und fand den Weg zurück zu seinem Körper, deshalb sitzt er ein bisschen schräg auf meinen Schultern.“ Teach lachte dröhnend als er mir dies erzählte.

„Wir, ich und meine Mannschaft, sind ob unserer Untaten verflucht worden bis in alle Ewigkeit die Weltmeere zu durchkreuzen, ohne Aussicht auf Erlösung oder Gnade. Selbst die Hölle wollte uns nicht haben und spuckte uns wieder aus. Wir sind verlorene Seelen auf einem verlorenem Schiff, unsere einzige Hoffnung besteht darin am Tag des Jüngsten Gerichts vielleicht Gnade und Erbarmen zu finden. Und nun bist du bei uns, ich weiß nicht warum und wieso, ist mir auch egal. Aber du teilst mit uns das gleiche Schicksal.“

Bei diesen Worten wurde es mir nun doch Angst und Bange, ein eiskalter Schauer durchlief mich und ließ mich erzittern.

Ja, so wurde ich Teil der Mannschaft, putzte die Kanonen, half dem Koch in der Kombüse, schruppte das Deck. Öfters bekam ich einen Fußtritt wenn ich einem der wilden Gesellen im Wege war. Hunger und Durst war mein täglicher Lohn, Angst und Furcht mein Begleiter, die bösartig aussehenden Schiffsratten meine Freunde. So vergingen die Tage in immer wiederkehrender Pein.

Bei alledem fragte ich mich immer wieder warum mich ein unergründliches, unbarmherziges Schicksal in diese Lage gebracht hat. Natürlich fand ich darauf keine Antwort. Wer hätte mir auch Antwort geben können?

Die harte arbeit, die mangelhafte Ernährung und die Sorge zehrten an mir und ich begann abzumagern. Mein Geist verirrte sich immer öfter in irgendwelchen Tagträumen die meine schreckliche Lage nur verschlimmerten.

Täglich Wind und Wetter ausgesetzt setzte meiner Kleidung zu bis ich schließlich genauso zerlumpt und zerfleddert wie die ruchlosen Piraten aussah.

Ruhelos durchpflügte das Schiff mit seinen zerfetzten Segeln die Meere. Oftmals erschreckten wir durch unser plötzliches erscheinen die Passagiere der Kreuzfahrtschiffe denen vor Schreck die Champagnergläser aus den Fingern fielen. Die Piraten hatten ihren Spaß daran und krümmten sich dann vor lachen.

Abends aber kam so etwas wie Frieden auf dem Schiff auf. Einer der Männer spielte auf einer Knochenflöte Lieder die von der Mannschaft grölend mitgesungen wurden, dabei stampften sie den Rhythmus mit den Füßen mit. Den Text konnte ich nicht verstehen, und, um ehrlich zu sein, ich wollte es auch gar nicht.

Aber, und das war dann doch ein gewisser Trost, ich konnte meine Pfeife rauchen. Allerdings ging bald mein Lieblingstabak zu ende und ich musste mich mit dem Kraut das die Crew in ihren Tonpfeifen rauchte, und gelegentlich auch kaute, zufrieden geben.

Eines Tage gerieten wir vor der Küste Englands in einen fürchterlichen Orkan. Haushohe Wellen überschwemmten immer wieder das Schiff, der Wind heulte und jaulte in der Takelage und steigerte sich immer mehr zu einem wahren Höllenkonzert. Teach gab mir den Auftrag irgendetwas dem Mann am Steuerrad zu bringen.

Als ich mich mühsam, unter Aufbietung aller Kräfte über das hin und her schwankende Deck vorwärts kämpfte erfasste mich eine riesige Welle und spülte mich über Bord. Ich versank strampelnd und um mich schlagend in der schäumenden Flut.

Es wurde wieder hell vor meinen Augen. Ich blickte um mich und sah den breit lächelnden Wirt über mir stehen. Pudelnass lag ich auf der Erde vor dem Kinmel Arms.

„Na, bist du wieder da?“ hörte ich ihn sagen. „Ein Kübel Wasser wirkt doch wahrhaftige Wunder. Lass nächstes Mal lieber die Finger vom Guinness, trink lieber ein Glas Fruchtsaft, der wird dir besser bekommen.“

Mit benommenen Kopf und sehr unsicheren Beinen stakste ich zurück in mein Quartier das zum Glück nicht weit weg gelegen war.

Unterwegs schaute ich nochmals zurück aufs Meer und bildete mir ein ich würde in der Ferne zerfetzte Segel sehen. Aber es war nur eine täuschend ähnliche Wolkenformation.

Oder doch nicht?