Am Fluß
von Joachim Acker
Es war Herbst geworden, das Laub der Bäume verfärbte
sich in leuchtendes Gelb, in Braun oder dunkles Rot. Welk und
verdorrt lagen sie dann am Boden, der scharfe Wind wehte sie
in die Winkel und Ecken der Stadt, blies sie duch die engen Gassen,
sie raschelten unter den Tritten der Passanten.
Immer öfter kroch nun der Nebel aus der Flußniederung
empor zur Stadt, füllte die Gassen und Wege, die Plätze
mit seinem Grau, ließ die Umrisse der Häuser nur noch
schemenhaft erkennen. Gedämpft, wie in Watte gehüllt
die Geräusche der Stadt, ohne Hall, ohne Klang. Und wie
Spukgestalten aus einer anderen Welt sahen die Menschen aus die
sich durch den Nebel ihren Weg suchten, Unwirklich und doch Wirklich.
Ich war beim Tabakhändler,
habe dort Tabak und eine günstige Pfeife erstanden, eine
Weile mit dem freundlichen älteren Herren geplaudert, eine
Tasse Kaffee getrunken und meine Pfeife geraucht. Nun ging ich
hinab zum Fluß, schon lange war ich nicht mehr dort, zu
geschäftig, zu betriebsam waren die letzten Wochen. Aber
jetzt hatte ich wieder Zeit und auch die innere Ruhe. Ich setzte
mich auf den Mauerrest unter dem Holunderbusch, zündete
meine Pfeife neu an, schaute dem Rauch nach wie er im Nebel verwehte.
Es fröstelte mich etwas und ich hüllte mich dichter
in meinen Umhang.
Dicht war der Nebel, noch niemals
sah ich so dichten Nebel hier am Fluß, keine 5 Schritte
sah man weit. Es war irgendwie unwirklich, beklemmend, ja beinahe
ängstigte mich dieser Nebel. Und aus dem Nebel kam plötzlich
ein Kahn ans Ufer gefahren, eine große, hagere Gestalt
in einem weiten Umhang lenkte mit einer langen Stange das Fahrzeug
zu mir her. Große brennende Augen in einem bleichen Gesicht
schauten mich an und dann fragte mich der Fremde was ich hier
wolle. Ich sei doch noch am Leben, sonst kämen immer nur
die Toten hier an den Fluß um hinübergefahren zu werden
ins Reich der Gewesenen. Mit krächzender, angstvoll bebender
Stimme stammelte ich irgendetwas. Der Hagere machte eine Schweigen
gebietende Handbewegung. Ich sehe schon, du bist ein Mensch der
sich verirrt hat, sowas kommt vor, sagte er. Selten zwar, aber
ich habe es schon ein paarmal erlebt.
Er lachte laut auf, offensichtlich bereitete es ihm Freude
mich hier in Angst und Schrecken zu sehen. Ich bin Charon der
Fährmann sagte er nun, und dies ist der Acheron der Fluß
des Todes. Ich fahre sie alle hinüber ins jenseitige Reich,
für einen geringen Fährlohn, fügte er noch hinzu.
Dann fragte er mich was ich da im Munde hätte. Ich sagte
ihm daß dies eine Tabakspfeife sei und man daraus rauchen
könnte. Aber damit fing er nicht viel an, die die ich hinüber
fahre brauchen solchen Schnickschnack nicht mehr sagte er zu
mir. Ja, sprach er dann nochmals, ich fahr sie alle rüber
und dort drüben bleiben sie, im Reich derer die nicht mehr
sind. Aber dann fügte er nachdenklich und zögernd hinzu:
Einen fuhr ich mal rüber der kam wieder.
Orpheus war es, der göttliche Sänger, der mit seinen
Liedern die Menschen, Tiere und die Götter erfreute. Seine
über alles geliebte Gemahlin Eurydike starb und Orpheus
erhielt von den Göttern die Erlaubnis in die Unterwelt zu
gehen um sie zurück zuholen. Eine Bedingung stellte man
ihm, er durfte sich nicht umdrehen. Und es kam wie es eigendlich
kommen mußte wenn man Menschen große Bedingungen
stellt: Orpheus hätte den Weg zurück beinahe geschafft,
da wollte er sich vergewissern ob seine Geliebte auch tatsächlich
hinter ihm ist, er drehte sich um, sah Eurydike und im gleichen
Augenblick verschwand sie vor seinen Augen. Alles war umsonst
gewesen, alles vorbei in einem kleinen Augenblick.
Charon sah mich an und sagte dann:
Niemals werde ich die Verzweiflung vergessen die ich da in den
Augen des Sängers sah, niemals mehr den Schrei des Schmerzes
vergessen der da über den Fluß tönte. Niemals
mehr! Er schaute in eine andere Richtung, Flußaufwärts.
Es kommen Fahrgäste sagte er zu mir, ich muß zu meiner
Pflicht. Lebewohl Mensch. Irgendwann sehen wir uns wieder, dann
gibst du mir den Fährlohn und ich werde dich hinüberfahren
in dies andere Land. Dann steuerte er den Kahn in den Fluß
hinaus und entschwand meinen Augen.
Ich saß da, fassungslos ob dem was ich da erlebt hatte,
zündete mit zitternden Fingern meine Pfeife neu an, schon
lange war sie ausgegangen, hing mir erkaltet im Mund. Todesschrecken
durchfuhr mich als sich plötzlich eine Hand auf meine Schulter
legte. Es war der Schaufler der zufällig hier vorbei kam.
Bilde ich es mir nur ein, fragte mich mein Freund, aber ich glaubte
ich hätte einen Kahn auf dem Fluß gesehen. Du wirst
es dir einbilden, sagte ich. Mit ihm zusammen ging ich zurück
in die Stadt, und als wir zum Stadttor kamen hörte ich wie
aus einer weiten Ferne den Ruf: Fährmann hol über,
und nochmals: Fährmann hol über!
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