Wie der Twist entstand

von Joachim Acker

Ein langer Arbeitstag war zu Ende gegangen, ich saß nach dem Abendbrot vor meiner Hütte, schnitt mit einem Messer ein Stück vom Tabak ab und steckte es in die Pfeife, zündete sie an und blies dicke Rauchwolken in den Abendhimmel.

Müde vom Tagwerk döste ich vor mich hin, Erinnerungen kamen auf mich zu, an meine Jugend, meine erste große Liebe, an Schuld und Vergebung. Die Fetzen der Erinnerung werden lichter, freundlicher, ich erinnerte mich einiger Streiche die wir, meine Freunde und ich, planten und mit großer Boshaftigkeit durchführten. Unsere Eltern fanden sie allerdings nicht so toll, aber die Strafe ist schon lange vergessen, ausgelöscht aus der Erinnerung wie so manches andere.

Plötzlich sehe ich in meinem Wachtraum den Uralten heran treten, er nimmt neben mir Platz und beginnt in seiner Tasche zu kramen, zieht seine alte abgenagte Pfeife hervor und dann noch ein Stück Tabak das aussieht wie eine Wurst. Dies ist ein Twist, sagte er zu mir, ein gesponnener Tabakstrang, man schneidet sich wie beim Plug die benötigte Menge ab und stopft sie in die Pfeife. Gemeinsam rauchten wir und saßen schweigend da, sahen in den Himmel und waren glücklich und zufrieden. Plötzlich fragte mich der Uralte ob ich wüßte wie der Twist entstanden sei, als ich verneinte begann er mir die folgende Geschichte zu erzählen:

Einst, schon sehr lange ist es her, versuchte ein Segelschiff, es war mit einer Ladung Tabak auf dem Weg nach Australien unterwegs, Kap Hoorn zu umrunden. Gefürchtet bei allen Seeleuten, das waren die Roaring Fortys, die Gewässer südlich des 40. Breitengrades, und dann, ganz am Ende, wenn Schiff und Besatzung schon müde waren vom Kampf gegen die Gewalten, ganz am Ende da kam Kap Hoorn, der Gipfelpunkt des Schreckens.

Jeder der schon mal um das Kap am Ende der Welt gefahren ist weis was das bedeutet: wochenlanger Sturm, Kleidung die nicht mehr trocken wird, nur noch Schiffszwieback zu essen weil Feuer machen unmöglich geworden ist. Kälte, dass man seine Hände nicht mehr spürt, die gefährliche Arbeit in der Takelage. Dazu noch das nicht enden wollende Rollen, Stampfen und Schlingern des Schiffes. Ja, so war Kap Hoorn.

Und das Schiff war in Not, der Fockmast war der erste der über Bord ging, bald darauf folgte der Großmast, alle Segel, die gesamte Takelage wurde Beute der See. Und am Kreuzmast flatterte nur noch das Besan-Segel im Sturm. Wie es dem zerschlagenen Schiff dennoch gelang das Kap zu umrunden, niemand weis es, ein Wunder wars. Oder Poseidon hatte erbarmen mit dem Schiff und seiner Mannschaft. Aber sie kamen in den Pazifischen Ozean, die Gewässer wurden ruhiger, der Sturm und der hohe Wellengang ließ nach, sie waren fürs Erste in Sicherheit.

Dann machte sich die Mannschaft daran das Schiff so gut es ging zu reparieren, ein Ersatzmast wurde notdürftig zurecht gebastelt, der Segelmacher nähte neue Segel. Nur das Tauwerk reichte nicht, und im ganzen Schiff waren keine Reserven aufzutreiben. Da kam einer der Seeleute auf die Idee die Tabakblätter zu nehmen und sie zu einem langen Strang zusammen zu flechten. Gesagt, getan, die Männer machten sich ans Werk und flochten in stundenlanger Arbeit aus der zum Rauchen bestimmten Fracht lange Seile. Sie wurden fest miteinander verdrillt und schließlich an den Masten und den Segeln angebracht. Und siehe da, es funktionierte, die Tabaktaue hielten bis in den Hafen von Melbourne, ihrem Ziel. Nun, was soll ich noch sagen, der Käufer der Ladung war nicht sehr glücklich über die Zweckentfremdung seines Besitzes und verweigerte die Annahme. Einer der Seeleute hatte sich aber in der Zwischenzeit ein Stück Tabakseil abgeschnitten und in seine Pipe gesteckt und rauchte mit größtem Behagen. Der erboste Käufer sah dies und ein Lächeln huschte über sein Gesicht, er erkannte blitzschnell die neue Lage und den Profit den er aus dieser Tabakform machen konnte.

Hier beendete der Uralte seine Geschichte.
Ich fragte ihn: "Wars wirklich so?". Er aber lächelte nur und sagte: "Wer weiss das schon?" Und wir saßen da und rauchten unsere Pfeifen, wir schwiegen und träumten unsere Träume.