Das Dorf im Wald

von Joachim Acker

Das Abendessen dass ich mir soeben mit ziemlich mäßigem Appetit einverleibt hatte war durchaus landestypisch: etwas schwarzverbranntes, zähes mit dem hochstaplerischen Namen Steak, wässrige Kartoffeln und giftgrüne Erbsen denen man den Einfluss chemischer Mittel schon von Weitem ansah. Das einzig Gute an dem Ganzen waren die zwei Pint of Guinness mit denen ich das Essen runterspülte.

Zurücklehnend im Stuhl griff ich nach meiner Pfeife, stopfte sie mit meinem Lieblingstabak und als sie endlich zu meiner Zufriedenheit brannte verließ ich den Pub zu meinem alltäglichen Abendspaziergang.

Diesmal führte er mich nicht an die See, sondern bergan auf die nahen Hügel, ein römerzeitliches Dorf, Din Lligwy genannt, war mein Ziel. Die Sonne stand schon tief und begann längere Schatten zu werfen, es wurde merklich kühler. Die schmale Straße auf der ich entlang schritt war eingesäumt mit Hecken, dahinter Wiesen auf denen müde blickende Schafe herumstanden und sich vollfraßen. Ich hörte in der Ferne den heiseren Ruf eines Fasans, ein Anderer antwortete, eine Goldammer saß auf ihrem erhöhten Sitz und pfiff ihr Abendlied. Am Rand der Straße lag ein Igel, er war tot, plattgefahren von einem Auto.

Der Weg führte an einem steinzeitlichen Steingrab vorbei, ich blieb stehen und schaute staunend auf die mächtigen Steinblöcke. Welch Mühsal und Anstrengung musste es gewesen sein sie herbei zu schaffen und aufzurichten. Es ging über eine Wiese, einen kleinen bewaldeten Hügel empor und ich war am Ziel.

Vor mir lagen die Reste eines Dorfes aus einer längst vergangenen Zeit. Ich sah mächtige Mauern, aus grauen Steinen ohne Mörtel zusammengefügt, gut einen Meter stark, die noch erhaltenen Überreste rechteckiger und runder Häuser.

Ich setzte mich im Inneren eines dieser Häuser auf eine Steinblock, suchte in meiner Tasche nach dem Tabaksbeutel und einer neuen Pfeife, füllte sie mit dem Digger Flake und entzündete sie, Rauchwolken stiegen in die klare Abendluft und wurden vom Wind verweht.

 

"Gibst du mir etwas ab von deinem Tabak?" hörte ich eine Stimme neben mir. Ich erschrak bis ins Mark meiner Knochen denn ich hatte niemand kommen sehen und auch nicht gehört. Er trat neben mich, ein alter graubärtiger Mann von sehr kleinem Wuchs, bekleidet mit einem grünen Umhang. "Habe ich dich erschreckt?" fragte er kichernd, "entschuldige, es war nicht meine Absicht".

Er bediente sich aus meinem Tabaksbeutel und zusammen saßen wir dann da auf den uralten Steinblöcken und rauchten unsere Pfeifen, der Alte vom Kleinen Volk und der fremde Wanderer.

Als er mich fragte ob ich einmal sehen möchte wie es hier früher im Dorf aussah überlegte ich nicht lange sondern bejahte. Der Alte spuckte auf seinen Daumen und wischte mir damit über beide Augen, es wurde dunkel um mich.

Eine Hand rüttelte mich an der Schulter und sagte dass ich aufwachen sollte. Die Augen öffnend fand ich mich in einer weit zurückliegenden Vergangenheit wieder. Die Steinhäuser waren keine Ruinen mehr, der Platz nicht verwaist und öde, das ganze Dorf war von Leben erfüllt. Dort drüben standen drei Männer, sie lehnten sich auf lange Speere und unterhielten sich. Vor einem Haus saß eine Frau und nähte an einem Kleid, kleine Kinder spielten neben ihr. Am Brunnen schöpften Frauen Wasser, redeten dabei wohl über die Geschehnisse des Tages. Eine Gruppe von Männern schritt durch das breite Eingangstor, sie kamen von der Jagd zurück, ihre Beute war an einem starken Ast angebunden den sie über die Schultern trugen. Kinder rannten einem Ball hinterher, warfen ihn einem Mann zu der ihn lachend zurück gab. Einige Hühner suchten gackernd nach Futter, Hunde bellten und von irgendwoher hörte ich das Grunzen einiger Schweine. Die Abendluft war erfüllt vom Rauch der Kochfeuer und vom Geruch gebratenen Fleisches. Eine Frau sang in irgendeinem der Häuser ihrem Kind ein Wiegenlied, eine getragene wehmütig klingende Melodie die dem Kind wohl nicht sonderlich zusagte denn es begann zu weinen, verstummte dann aber bald.

Der Alte vom Kleinen Volk trat auf mich zu und sagte zu mir: " Komm, es wird Zeit zu gehen, wir dürfen nicht zu lange bleiben. Sonst bist du für immer und ewig hier gefangen". Dann berührte er wieder meine Augen, dunkel wurde es und schließlich wieder hell, ich war zurückgekehrt in meine Welt.

Der weite Platz lag still und verwaist da, in den Ruinen der Häuser verfingen sich die letzten Strahlen der untergehenden Sonne, ich saß allein auf dem Stein, die ausgegangene Pfeife in der Hand. War es nun ein Traumgesicht was ich erlebte, hervorgerufen durch den stillen Zauber dieses Ortes, hatte mir das Guinness die Sinne vernebelt? Oder war es doch Wirklichkeit?

Nachdem ich mir eine frische Pfeife angezündet hatte machte ich mich auf den Rückweg. Im Westen, über dem Bodafon Mountain, ging nun die Sonne blutrot unter, tauchte das Dorf und den Wald in ein beinahe unwirkliches Licht.

Wind kam auf und zerrte in meinen Haaren. In der Ferne weinte ein Kind.