Zahnschäden durch Tonpfeifen

Joachim Acker

 

In einigen Artikeln wurde obiges Thema schon am Rande erwähnt. Da mir nun neue Erkenntnisse und Literaturquellen vorliegen möchte ich sie dem geneigten und interessierten Leser in diesem Aufsatz zusammenfassend vorstellen.

Bei archäologischen Ausgrabungen werden immer wieder Skelette gefunden deren Gebiss auffällige Abnutzerscheinungen der Zähne aufweisen. Es ist auf den ersten Blick erkenntlich dass es sich hier nicht um normale durch das kauen von Nahrungsmitteln verursachte Schäden handelt. Die auffälligen mehr oder weniger halbkreisförmigen Abrasionen an den Zähnen hatten ihre Ursache im jahrelangen Gebrauch von Tonpfeifen.

Bild A, B, C: Bissmarken

Zu den Bissmarken wie sie in Bild A, B und C zu sehen sind noch eine interessante Information aus den USA. Archäologen fanden im Boston Saloon in Virginia City, Nevada einige Tonpfeifen aus dem späten 19. Jahrhundert, deren Stiele die markanten Bissmarken der Zähne aufwiesen. Eine DNA Analyse ergab dass mindestens eine Pfeife von einer Frau geraucht wurde.

Die sehr harten und rauen Stiele der Pfeifen wirken im Zusammenspiel mit dem ausgeübten Druck des Gebisses wie ein Schleifmittel auf die Zähne.

Am Beispiel eines in Rendsburg Neuwerck gefundenen Gebisses schreibt Maren Weidner:

"Die Oberflächen der Abschleifungen wirken wie poliert, ein Tonpfeifenstiel passt sich exakt in diese Öffnung ein. Teilweise ist der Zahnschmelz derart angeschliffen, dass die Wurzelhöhle angegriffen ist. Diese Beeinträchtigung führte beim lebenden Individuum mit Sicherheit zu Zahnschmerzen und hätte auf Dauer Entzündungen und Zahnverlust zur Folge gehabt."

Und weiter:

"Wie lange oder wie intensiv der Pfeifengebrauch sein musste, um solche Effekte hervorzurufen, ist nicht bekannt. Es ist aber anzunehmen, dass dieser Prozess durch den ständigen Neukauf bei Verlust der alten Pfeife und somit der Zufuhr von frischen, rauen Pfeifenstielen forciert wurde."

Quelle: Knasterkopf 12-1999: K. Weidner, Archäologische Funde vom Rendsburger Neuwerk.

Das Festhalten der Pfeife zwischen den Zähnen brachte für den Raucher den Vorteil dass er die Hände für seine arbeit frei hatte. Auf Grund dessen darf möglicherweise angenommen werden dass die Zahnbeispiele wie wir sie weiter unten sehen alle von Personen stammen die mit ihrer Hände arbeit ihr tägliches Brot verdienen mussten. Dies trifft besonders auf das Beispiel aus Bern, Bild 9, und auf Basel, Bild 10, zu.

Im Folgenden nun einige Beispiele:

Bild 1 Roonka

Roonka liegt am Murray River, ca. 5 km südlich von Blanchetown in Süd-Australien. Ab November 1972 wurde dort ein Aboriginal Friedhof archäologisch erforscht. Es wurden über 120 menschliche Überreste geborgen die über eine Zeitspanne von 7000 Jahren bis zum ersten Kontakt mit den Europäern dort beerdigt wurden.

Bild 2 und Bild 3: Patuxent Point Site Maryland-USA

Patuxent Point ist bzw. war eine Ausgrabungsstelle in der Nähe von Solomons, Maryland-USA und gehörte einst, im 17. Jahrhundert, zur Plantage Hodkins Neck. Die archäologischen Untersuchungen dauerten von 1989 bis 1990. Es konnten 18 Gräber, alle in das 17. Jahrhundert zu datieren (1658 bis etwa 1680), freigelegt werden. Ein Grab wurde doppelt belegt: Eine erwachsene Frau mit einem Säugling.

Der Schädel in den Bildern 2 und 3 gehört einer männlichen Person deren Überreste in Grab 10 gefunden wurden.

"Of the 19 skeletons examined from Patuxent Point, nine individuals are immature (less than 18 years of age) and the remainder are 24 years or older. The ages at death of the nine immature individuals are: fetus or young infant; 9 months; 1.2 to 1.4 years; 5 years; 8 to 9 years; 10 to 11 years; 13 years; 13 to 14 years; and 15 to 17 years. Adult ages at death are as follows: 24 years; 25 to 30 years; 26 to 32 years; 27 to 32 years; 28 to 33 years; 30 to 35 years; 33 to 38 years; 37 to 43 years; 38 to 45 years; and 55 to 60 years. The mean age of the entire sample is 21.6 years and the mean age for the adults (age 16 or greater) is 32.59 years."

Quelle: http://www.jefpat.org/dying3.pdf

Bild 4 und Bild 4a: East Kirk of St. Nicholas, Aberdeeen-Schottland

Im Januar 2006 begannen in der East Kirk of St. Nicholas erneut umfangreiche archäologische Ausgrabungen die kurz vor Weihnachten 2006 beendet waren. Im Zuge diese Untersuchungen konnten 925 menschliche Skelette geborgen werden. Die ältesten Bestattungen datieren ins 12. Jahrhundert, es handelte sich um 20 Gräber in denen Säuglinge und Kinder zur letzten Ruhe gebettet wurden. Die jüngsten Gräber stammen aus dem 18. Jahrhundert.

Das im Bild 4 gezeigte Gebiss gehört einem Mann mittleren Alters der vermutlich im 17. Jahrhundert in der Kirche bestattet wurde.

Bild 5: St Mary's Star of the Sea, Leith, Schottland

Die archäologischen Untersuchungen in St. Mary´s hatten zum Ziel die Grundmauern des sogenannten Balmerino Hauses zufinden. Gebaut wurde das Haus 1631 von John Stewart, Earl of Carrik und in den Jahren 1643 bis 1746 von der Balmerino Familie bewohnt.

Eingebettet in mittelalterliche Sedimente aus dem 13. und 14. Jahrhundert wurden zur Überraschung der Ausgräber 6 Gräber aufgedeckt. Alle Skelette waren männlich, der Jüngste knapp 18 und der Älteste zwischen 40 und 60 Jahre alt.

"Stratigraphically, these individuals appeared to be of post-medieval date, perhaps belonging to the 16th or early 17th centuries.  Bones from two skeletons were submitted for radiocarbon dating, which indicated that they had been buried between 1440 and 1660.  Dental analysis suggested that the date might lie towards the end of this period, as two of the four main inhumations showed signs of clay pipe wear on the anterior teeth."

Quelle: http://www.cfa-archaeology.co.uk/news/news_stmary.html

Bild 6: Hemingford Grey, Cambridgeshire, UK

Hemingford Grey liegt am Südufer des Great Ouse in der Grafschaft Cambridgeshire, UK. Bei einer archäologischen Ausgrabung konnte dort ein kleiner Friedhof mit 16 Skelette freigelegt werden, 9 männliche, 5 weibliche und 2 die nicht zugeordnet werden konnten. Die Gräber stammen aus dem späten 16. bis zum frühen 17. Jahrhundert. Das Sterbealter der Personen lag zwischen 20 und über 50 Jahren. Beim Skelett mit der Inventarnummer 35 konnten die typischen Merkmale der Zahnschädigungen durch Tonpfeifen nachgewiesen werden.

Bild 7: St. George´s Church, Canterbury-UK

 

Insgesamt konnten in und im Umfeld der Kirche St. George in Canterbury 269 Gräber archäologisch untersucht werden.

"Out of a total of 269 skeletons, 209 (77.7 per cent) reached adulthood; seven burials, all within the church, were so badly decomposed that they could neither be assessed as adult or juvenile. Overall, males (n94) and females (n95) are equally represented, with 9.6 per cent (n20) of adult burials unsexed. Only five young adult males were discovered, all in the northern trench; whereas 15.8 per cent (15/95) of females died before they were 30 years old.
Just under one fifth of all burials failed to reach adulthood. Overall, the greatest sub-adult mortality occurs in the juveniles, 15.9 per cent (n19); and least deaths occur during the first year, 11.3 per cent (n6). This is especially evident in the trench sample, in which 55 per cent of the sub-adult burials were juvenile. As we 'have already seen, there is no evidence that child bones are subject to greater decay than are adult remains. Indeed, it appears, that in many cases, child bones are the more solid and better preserved. However, it is possible that many of the very small graves may have been completely cut away by later burials Consequently, those under one year may be under-represented."

Quelle: http://www.hillside.co.uk/arch/clocktower/bones.html

Das Skelett mit der Nummer SK 168 zeigt ebenfalls die markanten Abrasionen wie sie durch den Gebrauch von Tonpfeifen hervorgerufen wurden.

Bild 8a und 8b: Kirche San Martin de Buruntza, Gibuzkoa-Spanien

In der Kirche San Martin de Buruntza, Gibuzkoa-Spanien wurden bei Ausgrabungen Skelette gefunden deren Gebisse ebenfalls Spuren der Tonpfeifen aufwiesen.

Bild 9: Große Schanze Bern

 

Das Beispiel im Bild 9 stammt vom Berner Hintersassenfriedhof der in den Jahren 1769-1815 genutzt wurde. Es konnten dort die Reste von 115 Individuen geborgen werden, die, wie Untersuchungen ergaben, aus einfacheren Berufsständen stammten.

"So sind vorwiegend Dienstmägde, Näherinnen, Taglöhner, Soldaten, Handwerker und Handwerksgesellen registriert. An den Skeletten dieser Hintersassen fällt beim jetzigen Untersuchungsstand die große Zahl paläopathologischer Veränderungen genau so auf wie das große Spektrum, welches diese vertreten. An rund einem Drittel der Erwachsenen sind Folgen von Verletzungen festzustellen, darunter auch eine Unterschenkelfraktur mit letalem Ausgang. Außergewöhnlich häufig kommen entzündliche Veränderungen vor (Osteomyelitis, Syphilisverdachtsfälle, Tbc-Verdachtsfälle). Mangelerscheinungen außerhalb der Gebisse sind - entgegen der Erwartung - nicht häufig."

Quelle: http://www.ha-mhi.unibe.ch/content/aktuelles/auswertungen/index_ger.html

Bild 10: Basel

Das nächste Beispiel stammt aus Basel. 1984 wurden dort im alten Friedhof der St. Theodorskirche Grabungen durchgeführt bei denen 23 Bestattungen geborgen wurden. Darunter befand sich auch das Skelett einen Mannes der später (auf Grund seines Gebisses) den Namen „Theo, der Pfeifenraucher“ erhielt.

"Was wir über „Theo“ wissen
Bereits sein Bestattungsplatz im alten kleinbaslerischen Friedhof bei der Theodorskirche wiesen „Theo“ der Unterschicht zu. Denn dort wurden zwischen 1779 und 1832 vor allem Personen aus dem Berufsumfeld der Arbeiter, Handwerker, Fuhrleute und Fischer bestattet.

Was uns Knochen über das Schicksal von „Theo“ erzählen
„Theo“ dürfte bei seinem Ableben etwa 37 Jahre alt und 1,70 Meter groß gewesen sein. Seine Zähne verraten, dass er in seiner Kindheit mehrere Stressphasen durchlebte und wahrscheinlich in der Hungersnot von 1770/71 selten satt wurde. Eine Krebserkrankung führte zu seinem verfrühten Ableben. Aber nicht nur der Gesundheitszustand lässt sich aufgrund der Knochen rekonstruieren. Auch zu persönlichen Gewohnheiten geben seine Zähne Auskunft. Zwei kreisrunde Lücken in seinem Gebiss zeugten vom Pfeifenrauchen. Durch jahrelanges Rauchen hatte das tönerne Mundstück der Tabakpfeife unauslöschliche Spuren in das Gebiss geschliffen.
"

Quelle: http://www.nmb.bs.ch/ausstellungen/vergangene-ausstellungen

An dieser Stelle sei dem Naturhistorischen Museum Basel für die Genehmigung des Kopierens der Bilder gedankt. Eine Sonderausstellung im Museum Basel war im Jahre 2007 Theo gewidmet.

 

  Bild 11: Pauli Friedhof Brandenburger Neustadt

In der Brandenburger Neustadt wurde auf dem St. Pauli Friedhof im Frühjahr 1995 eine archäologische Untersuchung durchgeführt. Es konnten dabei 172 Skelette, davon 55 Kinder und Jugendliche, aufgedeckt werden.

"Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Individuen in Holzsärgen bestattet worden. Bei christlichen Begräbnissen ist eine Ausrichtung von Westen nach Osten üblich, wobei der Kopf der Bestatteten im Westen liegt und nach Osten blickt. Die meisten Brandenburger Individuen weisen diese Ausrichtung auf bis auf 71 Individuen, die von Norden (Schädel) nach Süden (Füße) ausgerichtet waren."

Quelle: Rekonstruktion der Ernährung und weiterer Subsistenzgrundlagen dreier frühneuzeitlicher Bevölkerungen anhand der Analyse stabiler Isotope und Spurenelemente. Darin 1.41 Brandenburger Neustadt – der frühneuzeitliche Pauli-Friedhof. Der dort gefundene Schädel zeigt ebenfalls deutlich die Schäden der Zähne.

Bildquellen

Bild A
http://www.geocities.com/Colosseum/Loge/5262/quarante.htm

Bild B
http://www.geocities.com/CapeCanaveral/Galaxy/2863/glos/cer.html

Bild C
http://www.pipasgipuzkoa.com/castellano/arqueologia.htm

Bild 1
http://www-personal.une.edu.au/~pbrown3/Roonka.html

Bild 2 und Bild 3
http://www.jefpat.org/dying3.pdf

Bild 4 und 4a
http://www.aberdeencity.gov.uk/ACCI/web/site/LocalHistory/NC/loc_ArchKirkNicholas.asp
http://www.aberdeencity.gov.uk/ACCI/web/site/LocalHistory/NC/loc_ArchKirk_July07.asp

Bild 5
http://www.cfa-archaeology.co.uk/news/news_stmary.html

Bild 6
http://thehumanjourney.net/pdf_store/hgrey/final_report.pdf

Bild 7
http://www.nature.com/bdj/journal/v192/n1/fig_tab/4801276f2.htm

Bild 8a und 8b
www.euskomedia.org/PDFAnlt/munibe/aa/2001151157.pdf

Bild 9
http://www.nmb.bs.ch/ausstellungen/ausstellung_im_hochparterre/bildgalerie_zu__theo_.htm

Bild 10 Theo, der Pfeifenraucher
http://www.nmb.bs.ch/ausstellungen/ausstellung_im_hochparterre/bildgalerie_zu__theo_.htm

Bild 11
Knasterkopf Band 12/1999

Literatur:

http://www-personal.une.edu.au/~pbrown3/Roonka.html
http://www.aberdeencity.gov.uk/ACCI/web/site/LocalHistory/NC/loc_ArchKirkNicholas.asp
http://www.cfa-archaeology.co.uk/news/news_stmary.html
http://www.jefpat.org/dying3.pdf
http://www.cfa-archaeology.co.uk/news/news_stmary.html http://thehumanjourney.net/pdf_store/hgrey/final_report.pdf http://www.hillside.co.uk/arch/clocktower/bones.html
www.euskomedia.org/PDFAnlt/munibe/aa/2001151157.pdf
http://www.ha-mhi.unibe.ch/content/aktuelles/auswertungen/index_ger.html http://www.diaspora.uiuc.edu/news0606/news0606.html
http://www.nmb.bs.ch/ausstellungen/vergangene-ausstellungen/theo_der_pfeifenraucher.htm

Rekonstruktion der Ernährung und weiterer Subsistenzgrundlagen dreier frühneuzeitlicher Bevölkerungen anhand der Analyse stabiler Isotope und Spurenelemente. Darin 1.41 Brandenburger Neustadt – der frühneuzeitliche Pauli-Friedhof

Dissertation von Diana Peitel Juli 2006
Sigrid I. Kvaal and T. K. Derry: Tell-tale teeth: abrasion from the traditional clay pipe